Kultur/Buch

Frauen über fünfzig - "plötzlich Neutrum"

Bis Ende der 1970er-Jahre gab es bei den Austrian-Airlines ein Alterslimit für Flugbegleiterinnen: 27. Und zwar nicht, schreibt Bettina Balàka, weil es sich bei dieser Tätigkeit um Hochleistungssport handelte, sondern „in der zarten Rücksichtnahme auf das Auge des männlichen Fluggastes“. Keineswegs sollte ihm der Appetit beim damals noch üppigen Menü durch eine nicht mehr ganz junge Frau verdorben werden.

Das Alterslimit bei der AUA gibt es nicht mehr. Frauen gelten ab einem bestimmten Alter immer noch als schwer vermittelbar. Kommentar zu einem auf Facebook geposteten Artikel über eine ältere Schauspielerin: „Wer will die Alte denn noch sehen?“

„Wechselhafte Jahre“ heißt der Essay-Band, den Bettina Balàka nun zum Thema weibliches Älterwerden und wie es sich von jenem der Männer immer noch drastisch unterscheidet, herausgegeben hat. „Wie ist es, wenn man keine Kinder hat? Wenn die Kinder aus dem Haus sind? Wenn gleichaltrige Männer gerade ihre Zweit - oder Drittfamilien gründen? Ist die Menopause Horror oder Befreiung?“, fragt sie und lässt dazu auch 15 weitere Schriftstellerinnen zu Wort kommen.

Vorweg: Ein Ratgeber zum „positiv Denken“ oder dergleichen ist dieser schmale Band nicht. Anleitungen für jeden Anlass und jedes Lebensalter überschwemmen den Buchmarkt. Balàkas Sammlung ist Literatur, die sich Gedanken macht, aber keinerlei Handlungsanleitung vorgeben und schon gar nichts verkaufen will. Umso mehr packen, berühren und faszinieren die einzelnen Geschichten. Und ja, als Frau über fünfzig fühlt man sich besonders angesprochen.

Linda Stift, Ruth Cerha, oder Barbara Frischmuth, geboren zwischen 1941 und 1969, äußern sich, wohl auch generationenbedingt, unterschiedlich. Einig sind sich alle: Es ist schnell gegangen. Linda Stift: „Als ich fünfzehn war, schien mir schon dreißig eine Altersgrenze zu sein, die ich vermutlich nicht erreichen werde.“ Jetzt bekommt sie plötzlich Kleidungs-und Frisurentipps für Frauen über fünfzig.

„Als unsere Mutter so alt war, wie ich jetzt, war sie alt“, schreibt die aus der DDR stammende Katrin Seddig, geboren 1969. Sie selbst fühlte sich schlecht vorbereitet darauf, plötzlich fünfzig zu sein. „Was ist übrig von der unbeherrschten Studentin, die plötzlich schwanger wurde, überrollt von ihrem eigenen Leben, und eins, zwei, drei steht sie da, in diesem kalten Licht, und ist irgendwas mit fünfzig?“ In der Bundesrepublik gab es ein konstantes Bild: Von der Mutter wurde man direkt zur Oma. Alles dazwischen war eine „Abweichlerin“. Lesbe, Alleinstehende, Nonne, Frigide, Emanze. Jedenfalls eine „komische Frau“. In der DDR gab’s bloß die Arbeiterin, bis man irgendwann keine Kraft mehr hatte.

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So sehr man sich darum bemüht, die Selbstwahrnehmung vor die Fremdwahrnehmung zu stellen: Das plötzlich Unsichtbarwerden ist eine zentrale Erfahrung. „Das Leben einer Frau zerfällt in zwei Phasen. Sexuelles Belästigtwerden und sexuelles Ignoriertwerden“, zitiert Bettina Balàka eine Bekannte. Vieles in diesem Buch macht wütend. Etwa auch Zdenka Beckers Bericht einer Pflegerin, deren Mann ungeniert ständig Jüngeren hinterher glotzt und sich abfällig über seine Frau äußert. Man ist versucht, zu fragen, warum sie sich das eigentlich antut. Ulrike Draesner schreibt, ihr Mann habe sie wegen des Alters verlassen. „Wegen seines Alters.“ Für ihn habe eine jüngere Frau ein „Zurück-zum-Start“ ermöglicht. Und umgekehrt? Immer noch die Ausnahme. Eine Frau werde ab einem bestimmten Alter zum „Neutrum“. Selbstermächtigung, neue Freiheit, auch mit 80, wie es Astrid Lindgren vormachte, noch auf Bäume klettern – ja, das klingt erstrebenswert. Doch ganz vom Blick von außen kann man sich kaum lösen. Ruth Cerha erzählt von einer Frau, die irgendwann ihre gesamte sexy Garderobe weggeschmissen hat, weil sie das Gefühl hatte, Minirock und Spitzenunterwäsche seien nicht mehr angemessen. Sabine Scholl berichtet von Ratschlägen, man solle doch bitteschön aufhören, ärmellos zu tragen. Und Marlene Streeruwitz erinnert an die Lektüre Thomas Manns, der in seiner Novelle „Die Betrogene“ eine Frau, die sich mitten in der Menopause in einen Jüngeren verliebt, sterben lässt. Gleichsam als Warnung.

Zart selbstkritisch hingegen der Beitrag von Barbara Frischmuth. Natürlich gebe es die männliche Lust auf „Frischfleisch“. Das werde sich aber nicht ändern, solange Frauen auch selbst dran glauben, ihr Sexy-Sein mache mehr aus als ihre Intelligenz.