Architekt Carl Pruscha: Bodenständig, authentisch, extravagant
Auf die Visionäre unter den Stadtplanern wie Le Corbusier folgte die Ernüchterung. Die Realität war stärker und hat deren Ideen als Illusion entlarvt. Carl Pruscha, der von den Tiroler Bergen über Wien und die Harvard University in den USA als Regierungsberater für Raumplanung durch UNO und Unesco in den 60er- und 70er-Jahren nach Nepal kam, hat’s erlebt.
„Es war eine faszinierende Zeit“, erinnert sich der Architekt. „Aber der Tourismus hat alles zerstört. Der Kommerz und das unkontrollierte Wachstum haben alles kaputtgemacht. Die Psyche und die Moral der Menschen.“
„Jämmerlich gescheitert“
Sogar die Schäden des Erdbebens 2015 seien unbedeutender im Vergleich zu den „Zerstörungen, die sich die Menschen selber angetan haben“ durch den Neureichtum.
Die Vorstellung, man könne die Welt planen und organisieren, die Städte mit Vernunft gestalten, sei „jämmerlich gescheitert durch die neuen Kräfte“, sagte der 84-Jährige in einem Ö1-„Menschenbilder“-Porträt. „Heute bestimmen Amazon, Google, Facebook und all diese mächtigen Horrorinstitutionen den Städtebau – nicht mehr die Architekten, Planer, Denker.“
Einst war Pruscha mit einer DC-3-Propellermaschine „in diesem Traumtal“ am Fuß des Himalaya, wo es damals nur Fußwege und noch keine Straßen gab, auf einem Grasfeld gelandet.
Was er vorfand, war für ihn „der Traum des perfekten Lebens“, so Pruscha. „Alles Tun dieser Menschen war ein Ritual und ein Kunstwerk wie die Landschaft mit ihren Reisterrassen.“
Seine Aufgabe in Nepal: einen Entwicklungsplan für die Region um die Hauptstadt Kathmandu zu erstellen und das kulturelle Erbe des Kathmandu-Tals mit dem hinduistischen Pashupatinath-Tempel und der mittelalterlichen Stadt Bhaktapur auf die Liste des Unesco-Welterbes zu bringen.
Als die Vernichtung wertvoller Kulturgüter bereits absehbar war, inventarisierte er den Bestand, beschäftigte sich mit traditionellen Bauweisen der Region und realisierte selbst einige Projekte im Kathmandutal, die Tradition und Moderne verbinden:
- das in die terrassierte Landschaft eingefügte CEDA-Gebäude, ursprünglich als Ausbildungszentrum für Angehörige verschiedener Ethnien in Nepal geplant, dann aber der Universität angegliedert;
- das dem Vorbild der einheimischen Pilgerhäuser entsprechende Taragaon-Hostel, das für die Nepal Women’s Association als Herberge für ausländische Besucher gebaut, dann als Unterkunft für Mitarbeiter des nahen Hyatt Hotels genutzt und – schließlich restauriert – ein Architekturmuseum und Ausstellungsort wurde;
- oder temporäre Unterkünfte für tibetanische Flüchtlinge, bei denen Ziegel und ein spezielles Betonfertigteilsystem zum Einsatz kamen.
In Asien hat Pruscha an die dort hoch entwickelte Ziegelkultur angeknüpft. Die Betonbauten, die aussahen wie Tankstellen, auf die kitschige Dächer mit Bemalungen gesetzt wurden“, waren ihm „ein Horror“. Er wollte zeigen, wie man mit lokalen Materialien und dem richtigen Maßstab eine historische und zugleich neue Architektur schaffen kann. Es hat lange gedauert, bis das geschätzt wurde. Aber dass sich junge Architekten heute an seinen Bauten orientieren, zeigt ihm: „Es war der richtige Weg.“
Rückkehr
Das Buch „Carl Pruscha. Ein ungewöhnlicher Architekt“ (Lars Müller Publishers) widmet sich mit Essays und Fotodokumentationen dem Leben und Werk eines Eigenwilligen, der das Image eines Dandys pflegt, und bei dem sich Bodenständigkeit, das Gefühl für Authentizität und die Freude an der Extravaganz kongenial verbinden.
Pruscha war nach seiner Rückkehr nach Wien 1974 u. a. als Rektor der Akademie der bildenden Künste prägend für die heimische Architekturszene.
Neben Forschungsarbeiten im Bereich Wohnbau und anonyme Architektur hat er Siedlungen in Aspern und Inzersdorf entworfen, außerdem Sanierungen historischer Bauten („Neugebäude“ in Simmering, Piaristenkonvent zum Kunst Haus Horn, Semper Depot) und Kulturbauten (wie das Arkaneum in Wien, Trigon in Graz) geplant und durchgeführt.
Sein Zuhause seit 1979 ist das von ihm revitalisierte „Alte Schloss“ in Gattendorf an der Grenze zwischen Ungarn und Österreich: ein 30 Jahre lang immer wieder weiter- und umgebautes Gesamtkunstwerk mit einem sorgfältig gestalteten Park.