Rabinowich geht essen: Strahlend in Katakomben
Von Julya Rabinowich
Nachdem Ersteres fehlte, obwohl sogar der Frühling sein grünes Band um Hinz und Kunz geschlungen hatte, und das Zweitere erst am Nachmittag geplant war, war eben die dritte Möglichkeit dran. „Keine kleinen Kinder in den nächsten vier Stunden“, warnte mich die Krankenschwester nach bestandenem Einröhren. „Und kleine Hunde?“ Sie wiegte verneinend das Haupt. Nach Hause gehen war ab sofort keine Option. „Und Abstand zu anderen, Sie strahlen.“
Draußen wartete meine Mutter. Wir strahlten einander an. Und dann tat ich etwas, womit Generationen von Müttern und Töchtern ihre lieben Schwierigkeiten haben. „Du musst auf Abstand zu mir gehen“, verlangte ich von ihr, während sie auf dem Weg in das neue Le Bol an mich heranwackelte. Aber jüdische Mütter und Abstand, das geht selten gut. Gegenüber des Schanigartens befand sich ein Haus mit Relief von Vater, Mutter, Kind, was später zu Diskussionen führte.
Ich verschanzte mich an einem Tischchen, meine Mutter zwei Tischchen weiter. Dann brüllten wir Familienupdates hin und her. Glücklicherweise saßen die meisten frankophilen Menschen in den Innenräumen, die neben einem Hauptraum mit großem hellen Tisch, der auch Putin vermutlich gefallen hätte, auch eine Kellerebene mit katakombenartigen Verzweigungen boten.
Die Speisekarte enthielt ebenso wie im Mutterschiff beim Donnerbrunnen Erlesenes und Französisches. Gnädigerweise sprechen die Französischmuttersprachler, die hier die Quiche und diverse Tartines und Salades austragen, auch Deutsch mit den Unfähigen, also mit mir. „Sind Sie zusammen?“, fragte die Kellnerin, nachdem sie leicht irritiert unser familiäres Krakeelen in Deutsch und Russisch über drei Tische hinweg verfolgt hatte. „Ja, aber es ist kompliziert“, antwortete meine Mutter. Ich hingegen entschied mich einfach für einen Oskar. Oskar ist ein Salat mit würzigen Croûtons, Apfelscheiben und zart aufgeschnittener geräucherter Entenbrust, eine, die saftig war und alle Stückln spielte. Mutter wählte Monsieur Seguine, mit Trauben, einem fruchtigen Dressing und braun angekrusteten Ziegenkäsescheiben.
Mein üblicherweise genossener Cafe Basquais mit süßer Milch und Karamellnoten war dieses Mal verboten, ich wich auf feinsten Kaschmirchai von Kusmi aus, denn das Le Bol hat eine breitgefächerte Auswahl. Dann wurde uns furchtbar kalt und wir orderten noch eine wärmende Quiche Lorraine. Damit nicht genug, schwankend zwischen Bombe au chocolat, cremiger Tarte au citron und Vanille-Eclair erlegte Mutter entgegen ihrer Gewohnheiten doch Letzteres.
„Schau“, hob sie an, während sie sich die süßen Brösel von den Lippen leckte. „Auf dem Haus gegenüber sind doch Maria und ihre Eltern auf dem Weg in den Tempel dargestellt.“ Ich blickte hinüber: Das Relief zeigte Frau, Mann und Kind in der Mitte. Alle trugen lange Kutten und halblanges Haar. „Wieso ist das Maria, das könnte ebenso Jesus sein.“ „Das ist ein Mädchen!“ „Was hast du gesagt?“ „Das ist ein MÄDCHEN!“ „Wegen der Kutte oder wegen den Haaren?“ „Wegen dem Ausdruck!“ „Ich plädiere dafür, dass es Jesus ist.“ „Warum?“ „Wegen dem Ausdruck!“ Der Ausdruck der Kellnerin, die uns beobachtete, ist mir nicht mehr erinnerlich. „Sie wird uns vermutlich in Erinnerung behalten“, erklärte ich später meiner Mutter. „Als intellektuelle Kosmopolitinnen“, hoffte sie. Als verfressene Irre, wenn wir Pech haben.