Raab geht essen: Der Friedrich
Von Thomas Raab
Es fällt ihm sofort auf, wenn er eine seiner vielen Runden dreht, durch die große Gaststube, dann sein uriges Stüberl, und schließlich in das kleine Nebenzimmer; wenn er dabei vor jedem der Tische stehen bleibt, seine Gäste begrüßt, nach deren Befinden fragt, plaudert, seinem Stammpublikum hin und wieder frischen Speck mitgibt oder Hauswürste; wenn er den Kommenden einen Platz zuweist, den Gehenden in die Jacke hilft, sie bis zur Türe begleitet. Ja, es fällt ihm auf: Die Trude ist heut’ nicht da, oder der Franz, oder der Johann und die Waltraud. Er sieht es nicht nur, es kümmert ihn. Und sollte Johann eines Tages nach dem Friedhofsbesuch nur noch ohne seine Waltraud das Gasthaus betreten können, er wird hier nicht allein sein. So lange schon waren wir nicht mehr dort. Seit zuerst die Urli-Oma und dann der Urli-Opa in deren Heimatstadt Wr. Neustadt Richtung Überall und Irgendwo übersiedelt sind, nahmen auch die gemeinsamen Ausflüge ein Ende. Treffpunkt Wasserturm, raus über Winzendorf, vorbei an der Hohen Wand nach Muthmannsdorf. Dem sei vorausgeschickt: Unsere Urli-Oma stammte aus einer Wirtshausfamilie in Zistersdorf, durfte als Kind schon für den ganzen Ort Marillenknödel vorbereiten, Rindsrouladen wickeln, Schnitzel herausbacken. Sie gastronomisch auf den Arm zu nehmen, war unmöglich. Zweiundsechzig Jahre hat sie an der Seite ihres Gatten, unserem Urli, verbracht, war mit ihm in der Beiwagenmaschine unterwegs, später mit dem Auto, dabei immer auch auf der Suche nach einem Gasthaus, das ihren Maßstäben gerecht wird. Kein Haus sein für den Gast, sondern ein Zuhause. Regionale Zutaten; Fleisch, Gemüse, Früchte von Bauern der Umgebung; das Wild von vertrauten Jägern; ehrliche, gute Küche ohne Blendwerk. Ihr Resümee fiel eindeutig aus: zum Friedrich, da ist kein Kilometer umsonst. Unser vorletztes Essen dort liegt Jahre zurück, die Kinder noch klein, der demente Urli bereits Witwer. Ohne nachfragen wurde ihm sein Bierwärmer zum Krügerl gebracht, er wiederum bestellte noch vor der Leberknödelsuppe die frischen Powidl-Tascherln aus Erdäpfelteig mit Sauerrahm, das wusste er noch, um danach lange die Karte zu studieren und wie meistens den Rostbraten zu wählen, bedeckt mit herrlich knusprig herausgebackenen Zwiebeln. Vergangenen Freitag öffneten wir die Tür und es war, als wäre sie gestern erst zugefallen. Mit dem Unterschied: Ferdinand Friedrich stand, wie uns, die Rührung in den Augen. So viel Freude. Das Staunen, wie groß die Kinder geworden sind, die Zeit vergeht. Er, als Hüter dieser Zeit, als einer jener Wirte, der uns sein lässt im Hier und Jetzt, im Gestern, Heute, Morgen. Seit dem 19. Jahrhundert gibt es den Friedrich. Die Urgroßeltern, Großeltern, Eltern, schließlich Ferdinand samt Familie und nun seine Tochter Alexandra. Seine Stärke ist es, Heimat spürbar beständig sein zu lassen, mit allen Sinnen. Die gute Seele des Hauses, Gabi, wollte von unseren Töchtern wissen, ob sie immer noch so gern den Erdäpfelsalat essen. Als Nachspeise Kastanienreis? Heiße Liebe? Nach so vielen Jahren! Es gab dann ebendieses, dazu Rehfilet mit hausgemachten Kroketten, selbstverständlich das Cordon bleu, das gebackene Hühnerschnitzel, das Schokoladenmousse. Ja, es fällt ihm sofort auf, wenn Menschen fehlen. Und fehlt den Menschen ein Gasthof Friedrich, stirbt das ganze Dorf. Wirtshäuser wie seines bedeuten Leben.
Gasthaus Friedrich
Hauptstraße 40, 2723 Muthmannsdorf
gasthaus-friedrich.gusti.at
Tel. +43 (0) 2638 88706; geöffnet ab 10 Uhr, Mi. und Do. Ruhetag, Mo. bis 16 Uhr