Kolumnen

Paaradox: Sticheleien

Sie

Dass die Liebe wissenschaftlich vermessen wird, ist nicht neu. Sogar eine Formel für gute Ehen wurde bereits entwickelt: Das Glücksgeheimnis liegt im 5:1-Verhältnis von Positivem zu Negativem. Stimmt. Ich mag’s, wenn mich der Mann gegenüber fünf Mal am Tag lobt, und einmal pro Monat tadelt. Nur so: Seine Jahresstatistik passt noch nicht ganz.

Ehe-Nobelpreis?

Der Weg zur Meisterschaft ist zäh – reif für den Ehe-Nobelpreis ist er noch lange nicht. Warum? Weil er mich mitunter zu wenig ernst nimmt. Ich war mir etwa sicher, dass er vor Ehrfurcht erstarren würde, wenn ich ihm von meiner neuesten Ambition erzähle. Nicht nur: Zum Erstarren sollte sich in meiner Vorstellung ein Kniefall gesellen, samt Lobpreisung. Doch der Umstand, dass ich seit Neuestem Tai-Chi-Schülerin bin, entlockte ihm nur folgenden lapidaren Satz: Ha, du merkst dir nicht einmal den Walzerschritt, das wird sehr lustig. Dann ahmte er Bruce-Lee-Bewegungen in Zeitlupe nach, hielt mir komplizierte Tai-Chi-Youtube-Tutorials aus China unter die Nase und fragte spöttelnd, ob ich bald auch so einen „Seidenpyjama wie diese Dame da“ (Anm.: eine Tai-Chi-Meisterin) tragen würde. Ich erwiderte, ob das alles sei, was er dazu zu sagen habe. Worauf er lachte: Klar. Denn erst, wenn du dereinst wie Chung San Feng durch die Wohnung schwebst, werde ich kaiserliche Demut walten lassen. Daran musste ich in meiner zweiten Tai-Chi-Stunde denken und verlor bei der Figur „Der weiße Kranich breitet seine Flügel aus“ rasch Fokus und Faden. Abends war ich deshalb sehr gereizt. Im Sinne der 5:1-Eheformel bemühte er sich mit ein paar Plattitüden um Deeskalation: 1. Schatzi, das war ja nur lieb gemeint. 2. Du musst nicht immer alles so ernst nehmen. Und 3., nachdem ich immer noch ein Schnoferl zog: Tut leid, das wollte ich echt nicht. Was tun? Mit asiatischer Weisheit reagieren: „Wenn das, was du sagen möchtest, nicht schöner ist als die Stille, dann schweige.“

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Er

Es ist ja nicht so, dass die Hingabe meiner Frau zu asiatischen  Bewusstseinserweiterungen neu ist. Damit meine ich nicht nur die Feng-Shui-Arrangements von Blumentöpfen, die Sichuan-Küche von Meister Xiao und die Verkühlungsprävention mit TCM-Teemischungen, die nach alten Wasserbüffel-Füßen schmecken. Oh nein, „kāimíng de rén“ (vereinfachtes Chinesisch für: „die Erleuchtete) erzählt auch gerne über ihre Erfahrungen mit „Vipassanā-bhāvanā“, einer Einsichtsmeditation – um dann nicht einsehen zu wollen, dass ich nicht voller Begeisterung auf ihren Spuren wandeln mag. Da geht’s um eine durchdringende Sicht, das unbewusste Ergreifen vergänglicher Phänomene und die Entwicklung der Herzqualitäten, sagt sie. Und ich antworte: „Ah, wie schön für dich.“

Chi-Fluss

Vor einigen Jahren baute sie sich vor mir auf, um mir zu erklären, dass sie sich von nun an der hohen Kunst des Taekwondo widmen würde. Dafür kaufte sie sich einen Dobok (Kampfanzug) und übte nach jedem Kurs Bewegungsabläufe vor dem Wohnzimmerspiegel. Und wehe, mir entglitt in Anbetracht ihrer von Kampfschreien begleiteten Akrobatik ein spitzbübisches Grinsen. Das Lachen wird dir vergehen, wenn ich irgendwann Bretter durchschlage, sprach sie in demonstrativ-asiatischer Gelassenheit und überhörte meine Polemik („eh wichtig im Alltag“). Dann eroberte sie ruckzuck den gelben Gürtel (eine Art Frühschwimmer-Auszeichnung) und beendete bald darauf das Abenteuer, weil sie zu wenig Zeit für zu viel Koordination hatte. Aktuell fühlt sich gnä Kuhn zu Tai-Chi berufen, zu einer sogenannten inneren Kampfkunst, um den Chi-Fluss zu verbessern. Und ja, so ehrlich muss ich sein: Es sieht lustig aus, wenn sie sich elfengleich in Zeitlupe von der Form „Den Vogel am Schwanz fassen“ zu „Die Mähne des Wildpferds teilen“ vorarbeitet. „Sehr g’schmeidig“, sagte ich unlängst. Sie schwieg erhaben. Was selten geschieht. So gesehen kann auch ich Tai-Chi einiges abgewinnen.

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