Kolumnen

Paaradox: Om!

Sie

Kontemplation: Der neueste Begriffs-Schrei im Wortschatz des Mannes gegenüber. Weil, so sagt er, die damit verbundene Stille keine Fragen stellt (im Gegensatz zu mir), aber jede Menge Antworten gibt (kann ich auch). Hm, da muss ich ein wenig in mich gehen und mir eine Runde Ruhe verordnen, um zu verstehen, was er mir damit sagen möchte. Vielleicht, dass ich ihn nicht, wie unlängst, um sechs Uhr morgens anrufen soll, weil in mir die senile Bettflucht pocht und ich akute Telefonseelsorge brauche. Und zwar deshalb: „Glaubst du, es ist ein Zeichen depperten Karmas, wenn vier  Schnecken den Salat in meinem schönen, neuen Hochbeet auffressen?“ Das nervt ihn ein wenig, deshalb murmelt er nur verschlafen: Verzeih, wie dir vielleicht bekannt sein sollte,  bin ich kein Schneckologe, und auch nicht als Experte für mieses Karma ansprechbar. Außerdem brauche ich am Morgen nichts als Stille und Vogelgezwitscher.

Im Yogasitz

Ha! Wüsste ich nicht, dass er frühmorgens –  in aller Zurückgezogenheit natürlich – vorrangig damit beschäftigt ist, sämtliche Sportergebnisse der vergangenen 12 Stunden zu checken, würde ich ihm das glatt glauben. Umso erstaunlicher, dass in ihm  –  gemeinsam mit dem Konzept der Stille – die Sehnsucht entstanden ist, zu meditieren. Guru Hufnagl im Yogasitz, Mantras summend, in eine flackernde Kerze starrend, einen Hauch Myrte oder Zeder in der Aromalampe seines Vertrauens? Eher nicht so, weil er –  erstens  – in seinen Kniegelenken zirka so elastisch ist wie ein Betonpfeiler der Reichsbrücke und daher im Schneidersitz für immer und ewig erstarren würde. Und er – zweitens –  Aromalampen für Staubfänger hält, die echt kein Mensch braucht. Dann redet er von Reduktion auf das wirklich  Wesentliche und ein Sein im Hier und Jetzt, um mir gleichzeitig aufs Aug’ zu drücken, dass sich durchs Meditieren bestimmte Hirnregionen vergrößern würden.
Eh super, die Frage ist nur: welche?

gabriele.kuhn@kurier.at / gabriele.kuhn/facebook.com/GabrieleKuhn60

Er

Mehr Hinwendung zu mir selbst. Mehr innere Ruhe. Das war die Empfehlung kluger Menschen. Und sie fügten hinzu: „Muss gar nicht lang sein“ – ahnend, dass mich allein der Gedanke, ich sollte fortan stundenlang in ritueller Schwerelosigkeit den Tag beginnen, zappelig macht. Aber zehn morgendliche Meditationsminuten kann ich mir einteilen. Die größte Herausforderung dabei war, die Suche nach meiner Mitte nur ja nicht meiner Frau zu verraten. Die mir genau diese seit Jahren nahelegt: Glaub’ mir, das hilft dir, mehr weg vom Verstand und mehr hin zum Bauchgefühl zu kommen. Leider habe ich gelernt, dass missionarische Sätze, die mit Glaub’ mir beginnen, meist das Gegenteil von Hufnagl-Vergnügen bedeuten. Glaub’ mir, eine Tasse Tee wirkt Wunder. Oder: Glaub’ mir, Gartenarbeit erdet dich. Statt Glaub’ mir, Manchester City wird Meister. Oder: Glaub’ mir, Hausarbeit ist nix für dich.

Verplappert

Ich wollte also nicht zugeben, dass ich quasi auf dem besten Weg zum Samadhi bin, in dem jedes diskursive Denken aufhört. Ich hatte Angst vor ihrer Expertise. Und dass ich mich wegen einem bisserl Stillsitzen mit weiterführenden Meditationsgeheimnissen aus Buddhismus, Hinduismus und Kuhnismus auseinandersetzen müsste. Ich konnte die Yoga-Königin richtig hören: Weißt du, Osho sagte … „Bitte, wer ist Osho?“ Bhagwan Shree Rajneesh, der mit seiner Nadabrahma-Meditation … „Ui, ist das die G’schicht mit dem Summen?“ Ja, auch, er sagt jedenfalls: Ich kenne keinen größeren Mut als jenen, den man braucht, um in sich selbst zu schauen. Mut ist eine Art Liebesaffäre mit dem Unbekannten. „Sehr weise, bravo Osho.“ Irgendwann verplapperte ich mich aber, als ich en passant erwähnte, den Körper mit Aufmerksamkeit zu durchwandern. Da wurde gnä Kuhn stutzig. Was machst du? Ich antwortete: „Ah nix. Wurscht.“ Aber da war es zu spät. Sie ließ das erste Glaub’-mir-Mantra erklingen, ich atmete, und gemeinsam lächelten wir in konfuzianistischer Gelassenheit.

michael.hufnagl@kurier.at / facebook.com/michael.hufnagl9