Paaradox: Fernhilfe
SIE
Dass der Mann gegenüber mit dem Flugmodus seines Smartphones ein zärtliches Naheverhältnis hat und damit gerne flirtet, sollte hinlänglich bekannt sein. Das Bimmeln diverser Nachrichten (vor allem meiner) macht ihn fahrig, daher schaltet er zuweilen nicht nur sein Handy, sondern auch gleich sich selbst aus – sozusagen. Im Sinne einer Nicht-Erreichbarkeit, in die er sich „hineinentspannen“ kann, wie er es gerne blumig formuliert. Denn, ja, auch sein Nervenkostüm unterliegt einem gewissen Alterungsprozess. Für immer vorbei die Zeiten als er noch gleichzeitig Death-Metal hören, ein Schinkenbrot essen, mit mir streiten und nebenbei das „Traktat über die menschliche Natur“ (Band 3, „Über die Moral“) lesen konnte.
Gönnung
Ich verstehe das, mir geht es ja ähnlich. Umso mehr genoss ich dieser Tage den Beginn meines Solo-Kurzurlaubs, den ich gleich einmal mit einer mehrstündigen Flugmodus-Gönnung einleitete. Frei nach dem meditativen Mantra: Nur in einem ruhigen Teich spiegelt sich das Licht der Sterne aka gnä Kuhn. Doch kaum war ich wieder normal erreichbar, ging auch schon die Klingelei los. Bim. Bim. Und nochmals Bim. Innerhalb von fünf Sekunden ratterten 15 Nachrichten rein – alle vom Absender „Schatz“. Sieh an, Hufnagl – also der, dem die Sinne so sehr nach Rundumentspannung im Beziehungs-Flugmodus stehen – brauchte Beistand für allerlei Alltägliches: Der Hund schüttelt dauernd mit den Ohren, ist das normal? Wie wird das Wetter in Wien, würdest du bitte auf deine Spezial-App schauen, damit ich beim Waldspazieren nicht nass werde? Duhu, kann ich ein Joghurt essen, wenn es zwei Tage abgelaufen ist? Und wo sind meine Badeschlapfen? Da saß ich und hämmerte stoisch Antworten auf die großen und kleinen Fragen seines Lebens in die Handytastatur. Links ein Prosecco, vor mir ein Sonnenuntergang und in mir eine Erinnerung: An jene fernen Tage, als wir im Urlaub nur per Brief und Karte erreichbar waren.
Facebook.GabrieleKuhn60
Email: gabriele.kuhn@kurier.at
ER
Ich habe nicht 15 Nachrichten verschickt, sondern drei. Wobei nur eine Relevanz besaß: „Wo sind die verdammten Ohrentropfen für den Hund?!?!?!“ Diese emotionale Anfrage hat bei meiner Frau den Übertreibungsmotor angeworfen. Weil sie meine Gereiztheit nervt. Dass ich zuvor als leibhaftige Suchmaschine im roten Drehzahlbereich in der Wohnung Kasten für Kasten, Regal für Regal, Lade für Lade inspiziert und mich stampfenden Schritts dem Wahnsinn genähert hatte, irritierte sie nicht. Am Ende durchstöberte ich irrlichternd sogar Gartengeräte-Kiste und Nudel-Schrankfach – vergeblich. Also kaufte ich in der Apotheke neue Tropfen und beruhigte mich … ehe Stunden später ihre Antwort eintraf: Da, wo sie immer sind. Darauf reagierte ich sicherheitshalber nicht. Ich wollte ihr Dolce Vita keinesfalls mit Bitterstoffen anreichern.
Mare & Mercato
Zumal sie mir zuvor übermittelt hatte: Wundere dich nicht, wenn ich mich seltener melde, aber ich will mich so richtig in dieser anderen Welt verlieren. Kenne ich. Verstehe ich. Respektiere ich. Ihr Vorhaben, verloren gehen zu wollen, endete allerdings noch am selben Abend. Da schickte sie erste Fotos von Mare & Mercato, von Prosecco & Prosciutto. Und jedes „Ah, schön“ oder „Hm, gut“ animierte gnä Kuhn zum Impressionen-Stakkato. Das Selten-Melden offenbarte sich als Selfie-Sause. Gaby in der Porzellanmanufaktur, Gaby vor einer Bougainvillea, Gaby mit Palladio, Basilica, Museo, Teatro, Parco, Torre. Und plötzlich mit drei Hüten in der Hand und der Frage: Welchen soll ich nehmen? Darauf ich: „Du trägst nie Hüte.“ Darauf sie: Stimmt eh. Und während ich Herrn Gustav die Ohren putzte, spülte sie mir Urlaubsbilder ins Leben – vom Barolo (schau, wie alt) über die Flussente (schau, wie süß) bis zum Zimmerschlüssel (schau, wie originell). Als ich sie vom Flughafen abholte, musste ich lange warten, ehe sie schrieb: Sorry, die Koffer kommen jetzt erst. Ich antwortete nur: „Bitte unbedingt ein Foto machen!“
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