Paaradox: Dressurakt
Sie
Ehrlich: Was wäre ich ohne die lieben Leserinnen und Leser? Ratlos. Uninspiriert. Mitunter sinnlos sauer. Aber so. So bekam ich als Reaktion auf die Kolumne vom vergangenen Sonntag per Mail einen Buchtipp geschickt, versehen mit fünf Zwinker-Smileys und einem „Vielleicht sollten Sie das versuchen, viel Spaß!“. Das Werk, das mir empfohlen wurde, ist von einer Journalistin namens Amy Sutherland und heißt „Die Männerbändigerin. Wie ich meinem Mann das Zuhören beibrachte und andere Kunststücke.“ Darin wird beschrieben, wie eine Ehefrau ihren Ehemann mithilfe von Tiertrainingsmethoden „dressiert“. Als würde sie Hunden oder Seelöwen diverse Zirkusnummern beibringen.
Bussi. Und noch ein Bussi
Worauf mich die Leserin speziell hinwies: die Strategie „Gutes Verhalten loben, schlechtes ignorieren.“ Alles, nur nicht nörgeln! Heißt: Wenn er was herumkugeln lässt, gar nix sagen. Wenn er seine Jacke brav in den Kasten hängt, gibt’s hingegen ein Bussi. Tut er es erneut, gibt es zwei Bussis. Beim dritten Mal sind es dann zwei Bussis, ein Kopfstreichler, samt Steak als Anreizprämie. Wie bei Seelöwen, die einen Kübel mit dicken Makrelen bekommen, wenn sie es endlich schaffen, einen Ball auf der Nase zu balancieren. Hm. Da sitze ich nun, schaue auf das Tier neben mir (den Hund, nicht den Mann) und gebe zu, dass ich bis heute gnadenlos daran gescheitert bin, es davon abzuhalten, nicht wie König Gustav von Groß-Wuffdorf auf dem Sofa zu thronen, als wäre es ganz allein seins. Ich würde so gerne „Rrrrrunter da!“ plärren, aber das Tier schaut so lieb. Wie soll Gusti dann je irgendwas balancieren, parieren oder gar „die Rolle“ machen können? Zumal mich die Vorstellung bedrückt, aus dem frechen Buben einen dressierten Wurschtel zu machen. Und ja, dieser Gedanke gilt auch für den unerzogenen Wurschtel gegenüber – vor allem aber für mich. Und schon muss ich an Astrid Lindgren denken, die schrieb: Lass Dich nicht unterkriegen. Sei frech, wild und wunderbar.
Er
Meine Frau zitiert Astrid Lindgren, und allein dafür muss man sie umarmen. Als wollte sie mir mit der Erwähnung zuzwinkern. Immerhin habe ich ihr im Laufe vieler gemeinsamer Jahre gefühlt 37-mal erzählt, dass „Michel aus Lönneberga“ (geschrieben 1963) mein All-Time-Superhero sei. Weil er mit seiner Lebensfreude, Fantasie und Frechheit allzu oft Schabernack trieb, weshalb ihn der Vater zur Strafe stets in eine Hütte sperrte. Wo er saß und schnitzte, aber niemals geläutert wurde. Der Michel aus Lönneberga blieb konsequent ein frohsinniger Schlingel, was für den Michel aus Wien prägend war. Zumal der Bub am Ende den todkranken Knecht im Alleingang mit dem Schlitten durch den Schneesturm zum Arzt brachte und offenbarte, wie groß sein Herz ist, wenn es darauf ankommt.
Katze-Kuh-Pose
Natürlich kam es im Laufe der Ehe mitunter dazu, dass meine Frau lapidar fragte: Sehr schön. Meinst du, dein Lauser-Idol hätte auch die Flaschen weggebracht und den Zeitungsstapel ausnahmsweise nicht auf dem Esstisch deponiert? Aber im Grunde gab es nie Bestrebungen, meine Persönlichkeit so zu verändern, dass sie mit dem Lächeln hundertprozentiger Zufriedenheit einschlafen konnte. Umgekehrt habe auch ich gelernt, dass manche Eigenheiten von gnä Kuhn nicht transformierbar sind. Wenn sie Wir sollten reden formuliert, tu ich’s, sogar, wenn ich nix zu sagen habe. Wenn sie während eines Fußball-WM-Finales lieber auf der Yogamatte die Katze-Kuh-Pose (Chakravakasana) übt, denke ich mir nur: Du ahnst gar nicht, was du versäumst. Und wenn sie fünf bis zehn Minuten nach Verlassen der Wohnung immer (!!!) laut Ui, hab’ ich jetzt mein Handy mit? fragt, dann reagiere ich einfach gar nicht mehr. Metaphorisch betrachtet trifft ein Erziehungszitat von Astrid Lindgren auch auf Paarbeziehungen zu: „Man kann in Kinder nichts hineinprügeln, aber vieles herausstreicheln.“ Und dieses Streicheln ist manchmal nur ein liebevolles Wegschauen.