Kolumnen

Johannas Fest: Wie bringt man Gäste dazu, Platz zu nehmen?

"Gestern waren wir bei Veronika zum Abendessen eingeladen", erzählt mir Olga. "Das Essen muss noch ein bisschen üben, ehe es für Haubenreife in Betracht kommt, die Gäste waren spießig, aber wirklich schlimm war die Raumsituation", schildert Olga. In der Küche sei zwischen Wand und offenem Kochblock auf einem ins Eck gequetschten Tisch gedeckt gewesen. Um sich auf der langen Bank einzufädeln, mussten – wie im Theater – wieder alle aufstehen. Und ebenso wie im Theater hat man Hemmungen, sich wieder von seinem Platz zu entfernen. Man sitzt also quasi in der Falle.

Selbst wenn die Tischsituation nicht so beengt ist wie in Veronikas Küche, ist wohl allen Gastgebern ein weit verbreitetes Phänomen bekannt: Gleichgültig wie pracht- oder einfach nur geschmackvoll die Tafel auch gedeckt ist, bedarf es oft mehrerer Aufrufe, bis sich die Gäste bequemen, ihre Plätze bei Tisch einzunehmen. Fehlt eine Bar oder ein Lounge-artiger Raum, soll es schon dazu gekommen sein, dass sich die angeregtesten Unterhaltungen mit Aperitif in der Hand im Badezimmer entwickeln.

"Nichts ist schlimmer, als den ganzen Abend auf dem einmal zugewiesen Sessel kleben zu müssen", ergänzt Olgas Mann Herbert, der Bewegungsfreiheit für Gäste fordert.

Was Gäste bewegt

Eine der schönsten Adventeinladungen, an die ich mich erinnere, ging von einem Architekten und einer Künstlerin aus. Die Wohnung war an sich schon eine Attraktion. Schließlich diente sie früher als Freimaurer-Loge, wovon noch geheimnisvolle Symbole an der Holzvertäfelung zeugten. Was den Nachmittag und Abend aber so unvergesslich machte, waren einerseits die vielen interessanten Gäste und das herausragende Essen: Alles, was hier geboten wurde, von den Vor- und Hauptspeisen bis hin zur Weihnachtsbäckerei, war einzigartig im Geschmack und von der Hausfrau und ihrer Tochter selbst gemacht. Dass man sich wie bei einer Schnitzeljagd erst auf die Pirsch durch die ganze Wohnung – in vielen verschiedenen Ecken, auf allen Tischen und in der Küche selbst warteten Köstlichkeiten – zu begeben hatte, machte die Sache noch spannender. Neben einer langen Tafel waren in der ganzen Wohnung viele kleinere Sitzgruppierungen platziert. So hatten die Anwesenden die Chance, mit immer neuen Leuten in Kontakt zu treten.

Auch lustig ist das Martina-Prinzip: Wenn sie zwei große Esstische in zwei Räumen zur Verfügung hat, sorgt die Juristin und Kunstliebhaberin, die auch eine begnadete Netzwerkerin ist, für Rotation: Unter jedem zweiten Tischkärtchen steckt ein weiteres. Nach der Vorspeise ist Platzwechsel angesagt. Nur für jeden zweiten wohlgemerkt. Am neuen Tisch steht dann schon wieder sein Name. Gnadenlos überwacht Martina die Einhaltung ihrer Choreografie, auch wenn so mancher gerade lieber sitzen bleiben würde, weil er oder sie gerade so angeregt mit dem Nebenan ins Gespräch gekommen ist.

Auch wenn so mancher Rochade-Muffel innerlich stöhnt, sind spätestens beim Digestif, den Martinas Gäste bei freier (Steh-)Platzwahl genießen dürfen, glücklich. Das Resümee: ein in jeder Beziehung bewegter Abend!