Kolumnen

Johannas Fest: Unsittliche Anträge

„Ins Café geht man nicht, um schlicht zu trinken, sondern um in Gesellschaft zu trinken“, konstatierte der französische Philosoph und Soziologe Pierre Félix Bourdieu 1987.

Stimmt so weit. Hilft aber nicht weiter, wenn die gesamte Gastronomie geschlossen hat. 90 Jahre früher, nämlich 1897, war Theodor Fontanes letzter Roman „Der Stechlin“ erschienen. Darin definiert der deutsche Schriftsteller und Journalist, was es bedeutet, gemeinsam zu Tisch zu gehen und dort zu sitzen, als die Erfüllung der eigentlichen Bedürfnisse des Menschen, der leiblichen wie der geistigen.

Anfang Oktober waren mein Mann und ich bei unseren hedonistischen Freundinnen Elke und Marietta zum Essen eingeladen. Ganz in Fontanes Sinn geriet der Abend zum Fest. Die beiden Damen glänzen als Kochkünstlerinnen hinter dem Herd ebenso wie als Konversationspartnerinnen bei Tisch. Beseelt von Gaumenfreuden und horizonterweiternden Gesprächen wollten wir gleich beim Abschied eine Revancheeinladung vereinbaren. Das gestaltete sich deshalb reichlich kompliziert, weil unsere Gastgeberinnen ab der folgenden Woche eine ganz heftige Diät auf dem Programm hatten:

„Kein Fett, keine Kohlehydrate, kein Alkohol. Der Plan kommt von AKH-Experten“, erläuterte Elke. „Mühsam, aber die Waage tröstet schon“, konstatierte sie und lud uns ein, mitzumachen. Oops, wir hätten es beide zweifelsfrei nötig, aber dieses Angebot kam doch etwas zu spontan. Schließlich standen noch einige Essenseinladungen bei anderen Freunden im Kalender und wir selbst freuten uns auch schon auf kleine kulinarische Runden bei uns daheim sowie Martini-Gansl-Essen im Burgenland.

Da die Laden unserer Tiefkühltruhe schon übervoll sind, habe ich beschlossen, für die Dauer des neuerlichen Rückzugs in die eigenen vier Wände kein Fleisch mehr einzukaufen, sondern zu verarbeiten, was da ist. Das im November so gefragte Federvieh ist zwar nicht vorrätig, dafür aber Mufflon, Reh und Hirsch, edle Ingredienzien für wahre Festtagsessen.

Aber was das Mahl erst zum Festtagsmahl macht, sind die Gäste. Und die trauen wir uns aus verschiedenen Gründen kaum mehr einzuladen. Ich habe mir zwar noch keinen Korb eingeholt, kriege aber das dumpfe Gefühl, dass wirklich vorsichtige Zeitgenossen die simple Frage „Wollt Ihr dieses Wochenende zu uns zum Essen kommen?“ schon als eine Art unsittlichen Antrag werten könnten.

Triple-A-Gäste

Umgekehrt haben mein Mann und ich gestern Abend besprochen, mit wem wir uns denn eigentlich völlig bedenkenlos gemeinsam an eine Tafel setzen würden.

Unsicher waren wir uns bei all jenen Freunden, die entweder schulpflichtige Kinder haben, oder Ärzte, Rechtsanwälte, Physio- oder Psychotherapeuten sind, die noch nicht auf Zoom-Behandlung umgestellt haben, sondern ihre Klientel persönlich treffen.

Um die Leute zu zählen, die bei uns auf die Liste der „Triple-A-Gäste“, wie wir sie in Anlehnung an die bei Banken üblichen Bonitätseinstufung genannt haben, kommen, brauchen wir maximal zwei Hände. Elke und Marietta betrachten wir als Vollkasko-Tischgesellschaft.

Gemeinsam darben, oder einsam völlern? Wir beschließen, die Schätze in der Tiefkühltruhe in sichereren Zeiten zu konsumieren, und entscheiden uns für eine Woche mit fast nichts am Teller aber in anregender Gesellschaft der beiden Damen. Fasten kann hart sein, Sozialaskese auch.