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Welche Sportart passt am besten zu mir?

Sonntagvormittag, Freizeitzentrum Perchtoldsdorf: 45 Kinder und Jugendliche (davon 23 Mädchen) zwischen 5 und 13 Jahren bevölkern die Sporthalle. Nach einer Aufwärmrunde und dem Abmessen der Körpergröße und Dehnübungen geht’s an die einzelnen Stationen, insgesamt neun Stück. Springen aus dem Stand, Ein-Bein-Stand – mit Zeitnehmung, ein Sprint über fast die ganze Hallenlänge – mit Echtzeit-Messung oder natürlich die Zeit stoppen beim abschließenden 500- bzw. 1000-Meterlauf (ab 12 Jahren) sind einige davon. Beim Springen wird die Weite gemessen. Hier liegt ein großes Maßband auf dem Boden, ebenso wie bei der Ball-Station. Auch da geht’s um die Weite.

Hier wird aber nicht geworfen, sondern gestoßen. Das ist von der Technik nicht ganz so einfach wie es sich liest. Die Hände müssen mit den Fingerspitzen zum eigenen Körper gedreht werden. Wer’s jetzt selber beim Lesen ausprobiert und nicht gerade sportlich geübt ist, wird fast vor Schmerzen ein wenig Jammern auf der Zungenspitze haben. Der Ball wird nun so – natürlich möglichst weit – von sich gestoßen. Es ist keine Quälerei, die sich die Trainerinnen und Trainer für diese Station ausgedacht haben. Hier soll eben die Stoßkraft gemessen werden. Kinder-KURIER und SchauTV (Ausstrahlungstermin steht noch nicht fest, der Beitrag wird aber dann hier verlinkt) durften den fast vier Dutzend Kindern und Jugendlichen zuschauen - rund 200 Fotos sind hier in mehreren Bildstrecken zu sehen.

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Geschicklichkeit und Spiel

Bei einer weiteren Station geht’s um Geschicklichkeit: Die Kinder und Jugendlichen halten auf Matten stehend einen Stab mit beiden Händen, müssen drübersteigen, ohne ihn loszulassen, sich hinlegen und auch wieder „durchwursteln“ – im Idealfall natürlich ebenfalls, ohne auch nur eine Hand vom Stab vom Stab zu entfernen.

Ganz schönwild zu geht’s beim „Fahnen“-Spiel. Auf einem Gürtel mit Klettverschlüssen hängen Bänder. Jede und jeder versucht, den anderen Bänder zu entreißen und selber alle zu behalten. Wer keine mehr hat, holt sich neue.

Apropos Spiel - und Spaß: Obwohl viel gemessen und gestoppt wird, geht's nicht um Wettbewerb oder gar Schinderei. Das zeigt sich immer wieder. Zwischendurch, wenn Kinder nicht gerade bei einer der Analysestationen im Einsatz sind, schlagen sie Rad, setzen sich im Spagat auf den Turnsaalboden, andere spielen mit den Stangen der Geschicklichkeitsübungen oder teufeln einfach so herum.

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Will meine Sportart wechseln

Chela Lang (10) ist an diesem Vormittag gekommen, „weil ich eine Sportart gemacht habe, die hat mir nicht so gefallen und ich möchte hier herausfinden, warum und welche Sportart ich sonst machen kann“, erzählt sie dem Kinder-KURIER und SchauTV – mehr dazu im ausführlichen Interview.

Die Analyse ihrer sportlichen Leistungen an diesem Vormittag ergab übrigens: 98 % Übereinstimmung mit Leichtathletik / Sprint.

Mehr als vier Dutzend Fotos vom abschließenden Lauf

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Bei ihm hat sich's bestätigt

Nicht ganz so hoch, aber immerhin 96 Prozent Übereinstimmung mit seinem bisher ausgeübten Sport steht in der Analyse von Aaron El-Hamalawi. Der 13-Jährige war an diesem Vormittag übrigens der einzige über 12 Jahren – und damit musste er die letzten fünf Runden im Turnsaal alleine laufen. Als sportanalytischer Abschluss des Vormittags stand ein 500 Meter-Lauf auf dem Programm – das ergibt fünf Runden im Turnsaal. Ab 12 ist die doppelte Länge zu bewältigen.

Längen – aber nicht rundherum, sondern hin und her – stehen auf dem Programm von Training und Wettkämpfen von Aaron El-Hamalawi: Er schwimmt. „Ich mach diesen Sport – Freistil, also Kraulen und Rücken, jeweils 100 und 200 Meter. Trotzdem wollte ich mir hier heute anschauen, ob ich das richtige Set, die richtigen körperlichen Voraussetzungen dafür habe.“ - Mehr im Interview unten.

Gelungen, sagt nun auch die Wissenschaft, wobei Sportanalytik – wie die Veranstalter_innen sagen – niemandem etwas aufdrängen oder von etwas abraten will, sondern die Ergebnisse lediglich als Empfehlung versteht.

Weitere Schnappschüsse

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Bringt mehr als es kostet

Am Rande der Veranstaltung in Perchtoldsdorf sprachen Kinder-KURIER und SchauTV auch mit Otmar Weiss vom Zentrum für Sportwissenschaft der Uni Wien. Er ist wissenschaftlicher Berater bei Sportanalytik und wertet die Daten aus, die hier gesammelt werden. Er forscht seit 40 Jahren über Motivation, Wirtschaft und Kommunikation im Sport – ausführlicher im Interview weiter unten.

Ein Aspekt sei aber hier schon herausgegriffen. „1 Euro in Sport investiert erspart 5 Euro an Krankheitskosten“, sagt der Wissenschafter im Interview. Und auf Nachfrage verweist er auf Berechnungen. Eine Zusammenfassung zweier Studien – 1998 bzw. 2013 im Vergleich -  wurden vor nicht ganz drei Jahren in der österreichischen Ärztezeitung veröffentlicht. Innerhalb dieser 15 Jahre haben sich die Kosten für die Behandlung von Zivilisationskrankheiten (Bewegungsmangel) enorm gesteigert. Sie überstiegen die kosten für Behandlung von Sportunfällen bzw. -erkrankungen beträchtlich. Für das Jahr 1998 berechnete die Studie einen Saldo von 567 Millionen, 15 Jahre später stieg dieser auf 1.110 Millionen.

Analyse

Obwohl überall gemessen – ob Weite oder Zeit – wird, geht es an diesem Vormittag nicht im Geringsten um Wettbewerb. Die Stationen sind Teil des Programms Sportanalytik. Ein solches wurde zum ersten, und geplant eigentlich nur einzigen Mal, bei den Olympischen Winterspielen 2010 im kanadischen Vancouver angeboten. Da dachten sich die Veranstalter, wenn schon so ein großes Sport-Event, dann sollen doch auch Besucher_innen ihre eigenen körperlichen Fähigkeiten messen können, um vielleicht draufzukommen, welcher Sport für sich am besten passen würde. Denn das war – und ist - die Idee hinter „Sportanalytik“.

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Prag ist federführend

Wissenschafter_innen der Fakultät für Leibeserziehung und Sport der Prager Karls-Universität fanden es zu schade, dass dies eine einmalige Gelegenheit bleiben sollten, entwickelten das Programm weiter, um es auch wissenschaftlich zu begleiten. Aus den Ergebnissen der Messungen bei den neun Stationen errechnet das Computerprogramm sozusagen die Matches mit den hinterlegten – bislang 60 verschiedenen Sportarten, sagt Harald Steinbichler zum Kinder-KURIER. Er hat gemeinsam mit Jakub Hajnik aus der Tschechischen Republik dieses sportmotorische Programm nach Österreich gebracht. In Österreich ist das universitäre Sportzentrum auf der Schmelz der lokale wissenschaftliche Partner, Sportverbände, die Bundessportorganisation sowie der Dachverband ASVÖ sind .

Hunderttausende Kinder und Jugendliche

Mittlerweile ist das Programm auch in den USA, Australien, Südafrika, Schweden und Deutschland angekommen. 400.000 Kinder und Jugendliche in mehr als zehn Ländern haben über Sportanalytik die zu ihnen am besten passende Sportart schon gefunden – wobei es sich immer nur um Vorschläge handelt.

http://sportanalytik.at/

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Hier der SchauTV-Beitrag

Gedreht von Martin Weissenbacher

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