Vom Verschwinden des Theaters – oder wird gar alles Theater?
Von Heinz Wagner
Ganz andere Wege rund um die nur kurz unterbrochene fast einjährige Sperre jeglicher Theaterbetreibe geht eine junge Gruppe experimenteller Theaterleute rund um „phunkenwerk – Kollektiv für transdisziplinäre Theaterkunst“. In einem langen Zoom-Meeting mit dem Kinder-KURIER erzählen Melina Marcher, Lara Kofler und Pablo Trujillo Tobaria, dieser scheinbar auf einem rotplüschigen Sitz in einem leeren Theater, aus Cali in Kolumbien mit dabei, von ihrer demnächst anlaufenden Metatheater-Produktion „Wir brennen“. Mittwochabend das erste Posting auf Social Media mit der Ankündigung einer geheimnisumwitterten Premiere am 19. März.
Das Gespräch ist insofern eine Gratwanderung, weil es vertraulich ist und nicht zu viel verraten werden soll. Jedenfalls wollen die Phunkenwerker_innen, zu denen neben den Genannten noch Marina Đorđević, Dagmar Moravec, Elisabeth „Lilli“ Schwarz und Michael Zellner gehören, das Verschwinden des Theaters sichtbar – und wenn geht – auch spürbar machen. Also eine Art Quadratur des Kreises.
„Für uns ist am Theater vor allem auch die Körperlichkeit wichtig. Das Spüren. Mit Postings auf Instagram und Facebook wollen wir, dass Leute einerseits diese Abwesenheit, andererseits aber auch die Erinnerung an Theatererlebnisse nicht nur wahrnehmen, sondern auch körperlich spüren.“
Nicht-Stück
„Schauplatz“ des Nicht-Stückes wird der Ringtheaterbrand 1881 sein. Damals brannte das besagte Wiener Groß-Theater ab. Menschen starben - vor allem auf den billigen Sitzplätzen. Ähnlich wie auf der Titanic ging’s bei der Rettung erst um die Großkopferten.
Die ursprüngliche Idee, so Marcher, sei ein Konzepttheater gewesen nach dem Muster der Konzeptkunst, wo in Installationen nicht Bilder hingen, sondern Beschreibungen über Bilder. „Jedenfalls wollten wir nicht eine weitere Online-Performance liefern, sondern das Fehlen von Etwas, nämlich dem Theater, zum Thema machen – sowohl inhaltlich aber auch wie wir es umsetzen.“
Erinnerungen spürbar machen
Das Fehlen von Körperlichkeit und des Gefühls der Unmittelbarkeit im selben Raum sei ja auch eine leibliche Erinnerung, die sich bei uns einspeichert. Sehr vieles davon passiere im Kopf. Und nun möchte das interdisziplinäre Theaterkolletiv Formen finden, wie sie durch Aufzeigen des Fehlens diese Erinnerungen spürbar machen können – und gleichzeitig das Fehlen.
„Diese Erinnerungen sollen aber nichts Nostalgisches sein“, wirft Pablo Trujillo Tobaria ein. „Wie fühlt sich dieses Fehlen an, wird mit der heutigen Situation konfrontiert, um einen neuen Zugang zu Theater, zu Kunst, zum Körper, zur Kommunikation auszulösen.“
Grenzen verschimmen
Lara Kofler bringt noch einen umfassenden, praktisch alle betreffenden Aspekt ein: „Die Grenzen verschwimmen ja ohnehin – ist nicht alles schon Theater. Von der Selbstinszenierung auf Instagram bis zu Pressekonferenzen von Politiker_innen. Es ist ja praktisch jeder Kontakt nur mehr medial vermittelt. Jede Kommunikation findet doch oft im selben Raum, auf der selben Ebene statt. Am selben Tisch, vor dem selben Bildschirm gehst du in eine Uni-Vorlesung, denn vielleicht eine Theaterprobe, machst deinen Job und später siehst du dort Nachrichten. Dazwischen isst du vielleicht noch am selben Tisch – das einzig Reale und Dreidimensionale.“
„Damit geht aber alles automatisch auf eine Meta-Ebene – entfernt sich von der Realität aufs Denken darüber“, bringt Melina Marcher auch die Erklärung für das Projekt Meta-Theater ins Spiel.
Die Gruppe, deren Name sich aus Wortspielen von Funk, Funke und Phantasie ergab, will viele der nun auf Social Media zu postenden Elemente erst im Laufe des Prozesses entwickeln. Der Prozess soll interaktiv sein. „Wir wollen die Leute nicht mit einer weiteren Online-Performance betröpfeln, sondern sie aktiv mit reinholen“ (Lara Kofler).