Wissen/Gesundheit

Wo Schmerzen um 60 Prozent reduziert werden

Annemarie A., 70, ist in einen Kunststoffsack gehüllt, der mit Kohlensäuregas aufgeblasen wird. „Das verbessert die Durchblutung und unterstützt die Heilung chronischer Wunden“, sagt Klaus Hohenstein, physikalischer Mediziner und ärztlicher Direktor des Pflegewohnhauses Baumgarten (Wiener Krankenanstaltenverbund) in Wien.  Dort gibt es seit Herbst eine besondere Einrichtung: ein interdisziplinäres Schmerzzentrum.

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Annemarie A. musste als Folge einer Gefäßerkrankung der linke Unterschenkel  amputiert werden. Sie leidet unter anderem an  Phantomschmerzen, die sie in ihrem nicht mehr vorhandenen Körperteil wahrnimmt. „Mir hilft die intensive Kombination verschiedener Therapien: etwa Laser-, Elektro-, Ergo- und Physiotherapie.“

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„Das  Besondere an dem Konzept ist, dass es auf die Bedürfnisse chronisch-pflegebedürftiger und geriatrischer Patienten abgestimmt ist“, sagt Hohenstein: Und dass Ärzte verschiedener Disziplinen (z. B. Allgemeinmedizin, Geriatrie, Innere Medizin, Neurologie Psychiatrie, physikalische Medizin) mit anderen Disziplinen  (z. B. Psychologie, Psychotherapie, Ergo- und Physiotherapie, Pflege, Pharmazie, Seelsorge) eng zusammenarbeiten – alle mit vertiefter Schmerzausbildung.

Gesamtkonzept

„Die Therapien sind keine Einzelmaßnahmen, sondern eingebettet in ein Gesamtkonzept. Und wir gehen auch auf die seelischen Auswirkungen chronischer Schmerzen ein.“

„Das Wichtigste ist, dass nicht jede Berufsgruppe an einem anderen Ziel arbeitet, sondern wir alle ein gemeinsames  verfolgen“, betont auch Physiotherapeutin Asita Homayoun, Leiterin des Fachbereichs Therapie im Schmerzzentrum.  „Ein- bis zweimal die Woche besprechen wir die Ziele für jeden Patienten gemeinsam.“

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Behandelt werden alle Schmerzursachen: „80 Prozent unserer Patienten haben Schmerzen des Bewegungsapparates oder durch Abnützung bedingte Gelenksschmerzen.“ Hinzu kommen oft von Durchblutungsstörungen oder vom Nervensystem ausgehende Schmerzen (z. B. Polyneuropathie) oder Schmerzen nach neurologischen Erkrankungen wie einem Schlaganfall.

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„Unser Ziel ist, den Menschen in seiner Gesamtheit zu erfassen“, sagt Hohenstein. „Das schafft kein medizinisches Fachgebiet und keine Berufsgruppe alleine. Da braucht man den Austausch zwischen allen Professionen.“  Denn gerade bei älteren Menschen gebe es oft mehrere Ursachen für Schmerzen. „Hinzu kommt häufig die psychische Belastung durch das Alleinsein in einer Pflegeeinrichtung, der Verlust von Freundschaften und sozialen Strukturen. All das beeinflusst und verstärkt die Schmerzwahrnehmung.“

Der Bedarf an  Schmerzzentren sei groß. „Mit steigendem Alter und zunehmender Zahl an Erkrankungen steigt auch die Schmerzintensität.“ Die älteste Patientin, die derzeit in Baumgarten behandelt wird, ist 105 Jahre, die jüngste 19.

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Eine  erste Befragung von 60 Patienten  ergab: „Im  Schnitt berichteten sie einen Rückgang der Schmerzintensität um 60 Prozent nach 20 Behandlungen. Die Zufriedenheit lag  bei 1,5 (Schulnotensystem).“ „Die Erfahrung zeigt, dass auch der Schmerzmitteleinsatz reduziert werden kann“, betont Hohenstein. „Und das ist  bei älteren, nicht gesunden Patienten enorm wichtig.“

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Maria F, 77,  ist nach einem Schenkelhalsbruch seit knapp vier Wochen in Baumgarten und hat bereits einen intensiven Therapiemix durchlaufen. „Am Anfang hatte ich höllische Schmerzen. Jetzt sind sie futschikato.“