Wissen/Gesundheit

Schlafforscherin: Wie guter Schlaf uns fit hält

Die Neurologin und Somnologin (Schlafforscherin) Birgit Högl wird im September erste Präsidentin der Welt-Schlaf-Gesellschaft.

KURIER: Wie haben Sie vergangene Nacht geschlafen?

Birgit Högl: Wunderbar!

In der Nacht auf Montag werden viele eine Stunde weniger schlafen. Begrüßen Sie das Ende der Zeitumstellung 2021?

Ja. Wenn jemand ohnehin schon einen latenten Schlafmangel hat, kann die Umstellung auf Sommerzeit diesen verstärken. Es gib eine neue Untersuchung zu den Folgen: Am Institut für Rechtsmedizin in Frankfurt hat man die bei Autopsien festgestellten Todesursachen über einen Zeitraum von zehn Jahren ausgewertet. Verkehrsunfälle, Suizide, aber auch bestimmte natürliche Ursachen wie Herzerkrankungen waren jeweils in den ersten Tagen nach der Umstellung auf die Sommerzeit häufiger. Das ist ein objektiver Beleg dafür, dass diese Umstellung nicht spurlos vorübergeht.

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Für Österreich halte ich – ausgehend von unseren Sonnenaufgangs- und Untergangszeiten – die durchgängige Normalzeit für die beste Variante. Der Mensch ist ein tagaktives Wesen. Die menschliche Uhr tickt zwar von alleine, muss aber täglich in der Früh nachgestellt werden – das passiert am besten durch natürliches Licht. Was viel zu wenig diskutiert wird, ist die Frage der Zeitzonen.

Inwiefern?

In Wien ging am Freitag die Sonne um 05.40 Uhr auf, in Cádiz in Spanien um 07.16 Uhr. Beide Städte liegen in derselben Zeitzone. Für Österreich passt die Mitteleuropäische Zeit, aber im extremen Westen oder Osten einer Zeitzone ist das nicht immer so. In China gibt es beispielsweise nur eine Standardzeit, obwohl das Land fünf Zeitzonen umfasst, damit liegen Sonnenauf- und Untergang mancherorts zu atypischen Zeiten.

Nehmen Schlafprobleme zu?

Hier bin ich zurückhaltend: Laut jüngeren Umfragen scheint dem so zu sein, aber man kann die Art der Erhebung und die Auswahl der Fragen nicht vergleichen. Möglicherweise ist auch nur die Wahrnehmung von Schlafstörungen größer geworden. Erwiesen ist: Wenn die Zeiten wirtschaftlich und politisch unsicher und instabil sind, schlafen die Menschen schlechter. Angesichts der großen Zahl an Schlafstörungen kann man aber grob sagen, dass rund 45 Prozent der Weltbevölkerung von einer schlafmedizinischen Erkrankung betroffen sind. Und wir verstehen auch zunehmend die Langzeitfolgen von chronisch gestörtem oder zu kurzem Schlaf besser.

Zum Beispiel?

Im Wachzustand sammeln sich im Gehirn Abbauprodukte des Stoffwechsels an. Dieser Zellmüll wird im Tiefschlaf durch eine Erweiterung der Zellzwischenräume ausgeschieden. Je länger und tiefer man schläft, umso besser funktioniert das. Oder: Bei Personen mit Atemstörungen im Schlaf – der Schlafapnoe – wissen wir, dass die Schutzkappen der Chromosomen verkürzt sind. Das aber ist ein Hinweis auf ein höheres biologisches Alter. Wir gehen also davon aus, dass unbehandelte Schlafapnoen dazu beitragen, dass Zellen rascher altern. Auch deshalb wäre es wichtig, dass junge Menschen nicht mit dem Handy ins Bett gehen. Blaulichtfilter sind schon gut, aber jedes Licht unterdrückt die körpereigene Melatoninausschüttung.

Schlafen wir zu kurz?

Eine österreichische Studie hat ergeben, dass die Hälfte der Österreicher sieben Stunden oder weniger schläft – bei dieser Schlafdauer empfinden viele Menschen aber schon einen Schlafmangel, den man nur zum Teil am Wochenende ausgleichen kann. Nur ein kleiner Prozentsatz kommt mit sechs Stunden oder weniger aus. Alle internationalen Schlafgesellschaften empfehlen deshalb ganz allgemein sieben bis neun Stunden Schlaf. Die Erfahrung zeigt, dass bei Männern meist sieben bis acht Stunden genügen, Frauen hingegen acht bis neun Stunden Schlaf benötigen, aber durch ihre zahlreichen Verpflichtungen in Beruf und Familie diese Stunde mehr oft nicht haben.

Sie und Ihr Team sind Spezialisten für eine Schlafstörung, bei der Menschen im Traum nicht wie gelähmt sind, sondern ihre Bewegungen auch ausleben.

In den späten 80er-Jahren sind bei einem Neurologen und einem Psychiater in den USA ältere Ehepaare vorstellig geworden, die eine glückliche Beziehung hatten, aber von merkwürdigen Symptomen berichteten: Der Mann träumte von Attacken auf seine Frau durch Personen oder Tiere oder anderen gefährlichen Situationen und verteidigte im Traum seine Frau. Dabei schlug er um sich, trat mit den Beinen, und verletzte seine Frau.

Normalerweise ist es so, dass man bei einem Albtraum weglaufen will – aber nicht vom Fleck kommt. Im Schlaf ist man wie gelähmt, die Muskeln sind schlaff. Ist das nicht der Fall, kann es sich um einem „REM-Schlaf-Verhaltensstörung“ handeln – die REM-Phase mit den raschen Bewegungen der geschlossenen Augen ist die intensive Traumphase. Wir haben mit internationalen Partnern objektive Methoden zur Erkennung dieser Störung entwickelt – etwa, wie viel Aktivität verschiedener Art in welchen Muskeln vorhanden sein muss. Damit ist eine exaktere Diagnose als früher möglich.

Sie haben einmal gesagt, dass diese REM-Schlaf-Verhaltensstörung einen Blick in die Zukunft des Gehirns erlaubt.

Ja, weil ein hoher Prozentsatz der Betroffenen im Laufe der nächsten Jahrzehnte an Parkinson oder einer bestimmten Demenzform (Lewy-Körperchen-Demenz) erkranken wird. Ziel ist, hier einmal frühzeitig eine Therapie anbieten zu können. Derzeit können wir nur einen gesunden Lebensstil – ausreichend Schlaf, Bewegung und gesunde Ernährung – empfehlen. Betroffene sollten die Symptome behandeln, um weitere Verletzungen der Partner zu vermeiden. Eine Diagnose kann nur in einem Schlaflabor erfolgen. Denn nicht jede Bewegung im Schlaf ist eine REM-Schlaf-Verhaltensstörung, es können auch andere Ursachen dahinter stecken, etwa eine Schlafapnoe, ein Restless-Legs-Syndrom oder eine andere Schlafstörung.