Grippe: Wieso Experten Hoffnung auf eine milde Welle haben
Von Ernst Mauritz
Die für die Jahreszeit ungewöhnlich warme Witterung hat nicht nur Auswirkungen auf das Befinden vieler Menschen, sondern auch auf jenes von Viren: „Die derzeitige Wetterlage bedeutet ein sehr gutes Klima für Erkältungsviren“, sagt Christoph Wenisch, Abteilungsvorstand für Infektions- und Tropenmedizin im Kaiser-Franz-Josef-Spital in Wien: „Die können sich bei solchen Temperaturen länger in der Luft halten.“
Nicht optimal sind sie hingegen für Influenza-Viren: „Für sie sind niedrigere Temperaturen besser.“ In Wien informierten Experten am Montag über die Aussichten für die heurige Grippe-Saison und neue Erkenntnisse.Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Gibt es derzeit schon Influenza-Fälle?
„Derzeit ist in ganz Europa die Aktivität der Influenza-Viren gering“, sagt Michael Binder, medizinischer Direktor des Wiener Krankenanstaltenverbundes (KAV). Wer jetzt hustet und niest, hat sich mit einem Erkältungsvirus infiziert. Derzeit gibt es alleine in Wien pro Woche 4000 Neuerkrankungen.
Kann man prognostizieren, wie die Influenza-Epidemie verlaufen wird?
Nicht mit 100-prozentiger Sicherheit. Einen Anhaltspunkt gibt die uns vorausgegangene Grippe-Welle in Australien – allerdings kann der Verlauf auf der Nordhalbkugel anders als im Süden sein. In Australien dominierte heuer das seit 2009 bekannte „Schweinegrippevirus“ A(H1N1)pdm09: „Es führt zu eher milderen Krankheitsverläufen, allerdings waren in Australien sehr viele Kinder von Infektionen betroffen“, sagt Wenisch.
Im Vorjahr wurden Grippe-Patienten auch in Gangbetten untergebracht. Ist der KAV heuer besser gerüstet?
„Wir sind sehr gut für stationäre Patienten vorbereitet“, sagt KAV-Direktor Binder. Es gebe einen Stufenplan, Notfallpläne seien ausgearbeitet. Bei einer besonders heftigen Welle können durch das Verschieben von planbaren Spitalsbehandlungen zusätzliche Grippestationen geschaffen werden.
Gerade die Influenza-Impfung schützt nicht jeden, bei Älteren kann der Schutz unter 50 Prozent liegen. Was bringt die Impfung dann wirklich?
„Neue Daten zeigen, dass eine jährliche Wiederholung der Impfung die Schutzwirkung deutlich erhöht“, sagt Wenisch. Und es gebe neue Untersuchungen zur Reduktion von Komplikationen: „Wer eine Grunderkrankung im Bereich der Herzgefäße hat, dessen Herzinfarktrisiko erhöht sich bei einer Influenza-Infektion um das Sechsfache.“ Die Impfung hingegen könne das Risiko für Herzinfarkte um 50 Prozent, für tödliche Infarkte sogar um 70 Prozent senken. Das Schlaganfallrisiko sinkt um 20 Prozent .
Wird das Angebot an Vierfach-Impfstoffen heuer ausreichen?
Im Vorjahr gingen die Impfstoffe mit Vierfachschutz (zwei Influenza-A-Viren und zwei Influenza-B-Viren) aus. Heuer sollte ausreichend Impfstoff vorhanden sein, betonte Binder. In Deutschland gibt es laut Medienberichten zwar regionale Engpässe, „für Österreich sehe ich aber keine Gefahr, dass der Impfstoff ausgeht“, sagt Bernhard Prager vom Verband der Impfstoffhersteller.
Menschen über 65 wird ein spezieller Impfstoff mit einem Wirkverstärker empfohlen. Dieser ist zwar nur ein Dreifach-Impfstoff: „Aber das nicht abgedeckte Influenza-B-Virus lässt vor allem jüngere Menschen erkranken, ältere haben dagegen meist schon eine Immunität“, sagt der Kinderfacharzt Peter Voitl, Impfreferent der Wiener Ärztekammer.
Welche neuen Erkenntnisse gibt es zu den Symptomen der Grippe?
„Bei Älteren kommt es häufiger zu einem allgemeinen Krankheitsgefühl und einer kognitiven Beeinträchtigung“ – man kann nicht mehr seine komplette geistige Kapazität abrufen“, erklärt Wenisch. „Bei Jüngeren hingegen entsprechen die Symptome mehr dem klassischen Lehrbuchwissen – also zum Beispiel Schüttelfrost und Muskelschmerzen. Wobei Männer mehr an Schüttelfrost leiden und Frauen mehr an Übelkeit und allgemeinem Krankheitsgefühl.“
Wie wird in Wien heuer die Versorgung kranker Kinder an den Wochenenden organisiert?
Es gibt sowohl im AKH Wien als auch im Kaiser-Franz-Josef-Spital einen kinderärztlichen Notdienst. Überdies werden drei Kinderarzt-Ordinationen an Wochenenden zusätzlich geöffnet haben. Auskunft und Beratung gibt es auch beim kostenlosen Gesundheitstelefon 1450. Brigitte Hörnlein, leitende Ärztin der WGKK: „Die Erfahrung aus dem Vorjahr zeigt, dass während der Grippewelle um ein Drittel mehr Anrufe eingegangen sind. Vor allem verunsicherte Eltern von erkrankten Kindern nutzen dieses Service.“
Kinderärzte dürfen keine Erwachsenen impfen
Es kommt häufig vor: Eltern sind beim Kinderarzt, lassen ihr Kind gegen Influenza impfen und fragen, ob sie nicht auch gleich selbst geimpft werden können. „Rein rechtlich ist das nicht möglich – obwohl es fachlich natürlich überhaupt kein Problem wäre“, sagt der Kinderarzt Werner Zenz von der MedUni Graz. Er fordert jetzt im Zuge der geplanten Ärztegesetz-Novelle eine Änderung der rechtlichen Lage.
„Bedauerlicherweise gibt es in Österreich diesbezüglich eine Sonderfachbeschränkung, die besagt, dass es beispielsweise einem Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde nur im Falle einer Grippepandemie gestattet ist, auch die Eltern der Kinder zu impfen“, schreibt Zenz in seiner Stellungnahme. Ausnahme ist eine Pandemie (weltweite Epidemie). „Als Facharzt bin ich aber durchaus in der Lage, auch bei Über-18-Jährigen die Impftauglichkeit festzustellen und zu impfen“, betont Zenz. „Jeder Facharzt kann das.“
„Die Sache ist nicht ausjudiziert und unklar“, kritisiert auch der Kinderfacharzt Peter Voitl, zugleich Impfreferent der Wiener Ärztekammer. Er selbst impfe auch die Eltern und berufe sich dabei auf eine Gesetzesformulierung, wonach seine Fach auch für Impfungen zuständig sei. In einem „Memorandum“ von Ärztekammer, Apothekerkammer und Impfspezialisten zur Beseitigung von Impfhindernissen heißt es, dass für junge Eltern Möglichkeiten geschaffen werden sollen, beim Kinderarzt „mitgeimpft zu werden“.
Allerdings: Während die Vertreter der niedergelassenen Ärzte in der Kammer sich bereits dafür ausgesprochen haben, diese „Sonderfachbeschränkung“ aufzuheben, gibt es noch keinen entsprechenden Beschluss der Österreichischen Ärztekammer, „dieses Thema an das Gesundheitsministerium heranzutragen“, sagt eine Sprecherin: „Die Diskussion schwelt.“
Dazu Zenz: „Österreich gehört zu den Schlusslichtern in Europa bei den Impfraten gegen Influenza. Deshalb muss man solche Hindernisse beseitigen.“