Kapitol-Stürmer und Corona-Leugner: War's das mit Camouflage?
Von Daniel Voglhuber
Martialisch, mit militärisch anmutender Kluft - oft in Camouflage - haben viele der Aufständischen das Kapitol in Washington gestürmt. Auch bei den Corona-Demos in den vergangenen Tagen in Österreich und Deutschland, bei denen Rechtsextreme mitmarschierten, hüllten sich Teilnehmer in Kleidung mit Tarnmuster.
Kann man in Zeiten wie diesen überhaupt noch das durchaus beliebte Camouflage tragen? Diese Frage wurde kürzlich der New York Times gestellt.
Vanessa Friedmann, die oberste Modekritikerin des Mediums, beantwortet es mit einem Ja, aber. Es gebe schon einen großen Unterschied, ob man das als modisches Ausrufezeichen oder zum Zwecke kämpferischer Stilisierung trage. "Dein Camo ist nicht ihr Camo". Man solle es aus dem Kontext lösen, mit Neon mischen oder gar für ein Abendkleid verwenden. Oder für Kleidung, die für "Make love, not war" stehe. Auf jeden Fall solle man die von den Kapitol-Stürmern getragenen Cargo-Hosen vorerst weit hinten im Kleiderkasten lassen.
Die Debatte ist nicht neu. Sie wird in regelmäßigen Abständen geführt. 2014, als der Krieg in Syrien heftig wütete, kritisierte die Stern-Journalistin Cathrin Wißmann in einem Artikel die Modebranche heftig. H&M hatte einen Overall verkauft, der an Anzüge kurdischer Kämpferinnen erinnerte. "Dass man in Zeiten politischer Unruhen ausgerechnet zum Kampflook greift, sagt vieles über unsere Gesellschaft aus: Es ist, als wäre die Messlatte unserer Moral auf Bodennähe gerutscht. 2003, zu Beginn des Irak-Kriegs, sah das noch anders aus. Damals verbot der Musiksender Viva seinen Moderatoren, Camouflage zu tragen", schrieb sie da etwa.
Skandalös
Und es wäre skandalös, dass einige Modeproduzenten die Augen vor den Kriegshandlungen verschließen und behaupten, Camouflage habe keine militärische Bedeutung mehr. "Denn wenn der Tarnfleck nicht mehr ist als eine schicke Hülle, dann hat die Mode den Kampf gegen das Klischee verloren, nur oberflächlich zu sein."
Die italienisch-französische Modeschöpferin Elsa Schiaparelli hat Anfang der 1930er begonnen, sich mit dem Militärmuster zu spielen. In den 1960ern kaperten die Protestbewegungen die Armee-Ästhetik und Tarnjacken. Menschen im Heeres-Look demonstrierten gegen den Vietnam-Krieg. Aufnäher wie das Peace-Symbol rissen die Kleidung aus dem militärischen Kontext.
Punks und Skinheads steckten wenig später die Hosen in ihre Springerstiefel. Ab den 1970ern war Camouflage regelmäßig auf den Laufstegen präsent, als Yves Saint Laurent ein Abendkleid mit Tarnmuster kreierte.
Aber muss man Kriegern, Rechtsextremen, Söldnern diese Muster überlassen? Kann man ihnen nicht einfach auch Symbole wegnehmen, indem die Masse sie trägt?
Als Fred Perry und sein Lorbeerkranz als Neonazi-Kennzeichen in Verruf geriet, wurden Stimmen laut, verstärkt Poloshirts der Marke zu tragen, um sie den Rechtsextremen quasi wegzunehmen. Und das Unternehmen selbst tat es, indem es keine Ware an einschlägige Händler lieferte.
Ursprünglich waren Fred-Perry-Shirts in England bei den Mods und anfangs politisch uninteressierten Skinheads beliebt. In den 2000ern schmückten sich dann viele Musiker wie Amy Winehouse , Jay-Z oder Damon Albarn mit den Leiberln. Die Aura des Bösen war passé. Bis die Proud Boys auftauchten. Die rechtsextremen (vormaligen) Trump-Unterstützer kleideten sich in schwarzen Polos mit gelbem Kranz. Aber das Unternehmen wusste sich zu helfen und nahm diese Modelle in den USA vom Markt.
Die ursprüngliche Box-Marke Lonsdale wehrte sich früher noch offensiver gegen die Vereinnahmung der rechtsextremen Nazi-Skins und startete eine Kampagne mit "Lonsdale loves all colours". Mit Erfolg.
Ein "Klassiker wie Karo"
Zurück zum Tarnlook. Ist er nun out? Ein Tabu? Derzeit sieht es nicht danach aus. Offenbar hält man es wie Designer Jeremy Scott. Der sagte einmal: "Für mich ist Camo ein Klassiker, nichts anderes als Karo oder Punkte."
Ein Blick auf die neue Kollektion von Levi's in Kooperation mit dem japanischen Streetwearlabel A Bathing Ape genügt. Da ist Tarnmuster wieder sehr sichtbar.
Und auch bei Dior ist unter der Federführung Peter Doigs heuer wieder Camouflage angesagt.