Putins Haus oder wie politisch Architektur sein kann
Die Sache ist schon ein paar Monate her. Es war im Jänner dieses Jahres, als der russische Oppositionsführer und Putin-Kritiker Alexej Nawalny einen spektakulären Film veröffentlichte, der ein eindrucksvolles Anwesen zeigte. Dieses hätte Putin mit Geld aus Korruptionsgeschäften und anderen dubiosen Deals in der Höhe von 1.35 Milliarden Dollar gebaut.
Ist das wirklich Putins Haus?
Das Anwesen soll mit seinen 68 Hektar also 39-mal so groß sein wie Monaco. Laut Nawalny verfügt es über eine 190.500 Quadratmeter große Villa mit einem Theater, einem Casino, zwei Hubschrauberlandeplätzen, einem Arboretum und einer unterirdischen Eishockeybahn. Unterlegt wurden die heftigen Anschuldigungen übrigens durchaus fundiert: mit Beweisen von Drohnenaufnahmen, Interviews mit Auftragnehmern, und öffentlich zugänglichen Dokumenten und Blaupausen von Plänen.
Frage nicht, die Sache würde vermutlich selbst in Österreich zu Rücktritten führen. Der Film jedenfalls wurde mehr als 87 Millionen Mal online angesehen. Und während sich der politische Westen fassungslos an den Kopf griff, veranlasste es die Social Media-Bubble dazu, sich mit Memes und GIFs über den massiven Putinpalast lustig zu machen.
Russischer Architekt mit viel Mut
Soweit so gut. Doch einen russischen Architekten ließ die Sache einfach nicht los. Und so setzte sich Roman Vlasov eines Tages an den Schreibtisch und entwarf aus dem Bauch heraus ein Haus, das sich in seiner Wahrnehmung mit dem Image des russischen Oberchefs deckte. Titel der architektonischen Fiktion: „Putins Haus oder wie seine Villa aussehen könnte.“
Oder ist das wirklich Putins Haus?
Und zwar so: Auf zwei endlos wirkenden staksigen Säulen platziert er eine einfache Wohneinheit. Diese ist eingeschossig gedacht, große Fensterfronten vermitteln das Gefühl eines 360-Grad-Blicks. Die gewählten Materialien – Beton und Stahl – lassen Putins Haus nüchtern und emotionslos erscheinen. Aus der Ferne wirkt das Objekt zudem wie ein Habicht, der ungelenk durch unendlich weite Wälder stakst.
Viel mehr hat der russische Architekt dann auch nicht mehr definiert. Schließlich sollte die Sache eher eine Spielerei sein, eine provokante vielleicht, aber nicht mehr. „Das radikale Werk suggeriert die Atmosphäre eines schurkischen Verstecks“, attestierten jedenfalls Architektur-Medien sogleich. Und weiter: „Gleichzeitig vermitteln der unmenschliche Maßstab und die Endlosigkeit der darunter liegenden Struktur ein Gefühl des Exzesses.“
Österreicher wollte mehr wissen
Der österreichische Architekt Chris Precht vom Studio Precht schien sich von den Renderings jedenfalls durchaus angesprochen zu fühlen. Jedenfalls versuchte er über Instagram mit seinem Branchenkollegen in einen fachlichen Austausch zu treten. Sein treffender, aber fragender Kommentar unter Vlasovs Posting: „Schöne Arbeit, Roman. Warum sollte Putins Villa so aussehen? Können Sie Ihre Designentscheidungen näher erläutern? Ist es eine politische Kritik an den Immobiliengeschichten, die wir in den Medien sehen, oder eine Designabsicht in Bezug auf seine Persönlichkeit/Vorlieben?“
Doch Prechts durchaus berechtigte Fragen verhallten in den Echokammern der Sozialen Netzwerke. Die Veröffentlichung der dunkel und durchaus realistisch anmutenden Renderings tauchte rasch in den Newsfeeds von weniger Architekturkundigen auf. Und – richtig – die hielten die theoretische Kopfgeburt von Roman Vlasov für nackte Realität. Also, für das echte Haus von Wladimir Putin. Da half es auch nicht, dass der Architekt seinen Post mit den Hashtags #concept und #design versehen hatte. Um eben keine Missverständnisse aufkommen zu lassen.
Eine kreative Idee wird plötzlich zu Fake News
Fazit nach wenigen Tagen: 9.000 Likes und 1.600 Retweets. Die Sache ging so weit, dass renommierte internationale Medien den Ball aufgriffen und klarstellten, dass es sich um „Fake News“ handle. Allen voran die britische Newsweek. Sie titelte gar: „Nein, dieses virale Foto ist nicht Putins Haus!“ Auch große Faktenchecker-Plattformen wie AFT Fact Check befassten sich plötzlich mit der kreativen Herangehensweise des russischen Architekten.
Wie auch immer. Was die Sache aber deutlich macht, ist, wie politisch Architektur sein kann. Und wenn man bedenkt, dass Oppositionsführer Alexej Nawalny seit seinen eingangs beschriebenen Veröffentlichungen im Gefängnis sitzt, ist die Schlagzeile von „Architecture & Design“ die wohl treffendste Analyse des Konzepts. „Dieser Entwurf ist zu gut, um Putins Haus zu sein.“
Text: Johannes Stühlinger Bilder: Roman Vlasov
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