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Ein Lebenswerk als Mega-Marathon

Es gibt wohl kaum einen anderen Architekten, dem es so eindrucksvoll oft gelungen ist, einer Stadt seinen Stempel aufzudrücken, wie Frank Gehry. Wenn der US-Amerikaner engagiert wird, darf die jeweilige Region durchaus zurecht auf den viel zitierten Bilbao-Effekt bauen.

Guggenheim lässt grüßen

Dieser beschreibt den durch ein besonders markantes Bauwerk entstehenden Imagewechsel einer Stadt oder eines Stadtteils. Zurückzuführen ist dieser Begriff auf das Guggenheim-Museum im spanischen Bilbao. Durch dessen Realisierung konnte sich Bilbao von einer alten Industrie- hin zu einer modernen Kulturstadt entwickeln. Und der Architekt dieses ausgesprochen expressiv gestalteten Baus heißt – Frank Gehry.

Wenn die Heimat ruft

Nicht zuletzt deshalb bezeichnete ihn die New York Times zuletzt als den „höchstgepriesenen US-Architekten seit Frank Lloyd Wright“. Doch auch wenn weltweit viele Gebäude seine Handschrift tragen – jüngst etwa der Facebook-Campus in Palo Alto, das The Core Project in Philapdelphia oder der Kunst-Hotspot Luma Arles – fehlt in der Vita des großen Meisters noch ein Stern. In seiner Heimat Toronto konnte Frank Gehry bis dato bloß Duftmarken hinterlassen. Aber noch keine Landmark. Genau das soll sich nun endlich ändern.

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Oder, besser gesagt, genau das versucht er selbst bereits seit fast zehn Jahren zu ändern: Die ersten Pläne für das schlicht als „Gehry Project“ bezeichnete Unterfangen datieren tatsächlich aus dem Jahr 2012. Konkret geht es seit Beginn der Konzeption dabei darum, Toronto mit spektakulär ineinander verdrehten Türmen ein international auf den ersten Blick verständliches Wahrzeichen zu verpassen.

The Gehry Project mit langer Keimphase

Doch während in anderen Städten Gehrys Entwürfe stets auf fruchtbaren Boden fallen, dauert ausgerechnet in seiner Heimat die Keimphase überraschend lange. Nun gibt es für den inzwischen 92-Jährigen aber wohl endlich Grund zur Freude: Die kürzlich präsentierte Adaptierung der Pläne scheint der Stadtregierung zuzusagen. Ein erster Zeitplan wurde inzwischen erstellt. Und der besagt: Baubeginn ist im Jahr 2023.

Politik bitte ausblenden

Aber gehen wir erst einmal einen Schritt zurück und lassen so offensichtliches politisches Ping-Pong beiseite. „Ich wollte ein Gebäudeensemble schaffen, das die Stadt respektiert. Ein Projekt, das auf jenes Toronto verweist, das ich einst kannte", sagt Frank Gehry, wenn man ihn auf seine Ursprungsidee anspricht. Die sah eine bandartige Fassade vor, die drei Türme miteinander verbindet. Doch schon im Jahr 2014 wurde diese Idee überworfen. Aus drei wurden zwei Türme. Diese sollten dafür höher in den Himmel wachsen.

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Genau dieser erste grobe Eingriff in Gehrys Entwicklung markiert wohl den Anfang eines aus Architekten-Sicht eher mühseligen Weges. Immer wieder musste das Konzept adaptiert werden. Teilweise mit etwas eigenwilligen Argumentationen, wenn man den Erzählungen von Mitchell Cohen Glauben schenken darf. "Die Stadt machte immer wieder laut und deutlich klar, dass sie keinen typischen Glasturm wollte, wie er in jeder Stadt zu finden ist", so der COO der Baugesellschaft Westdale.

Was ist Gehrys Vision wirklich?

Eine besondere Art, Gehrys Entwürfe abblitzen zu lassen, also. Vor allem, mit diesem Nachsatz: "Was sie wollten, war Frank Gehrys Vision, die hier in Toronto, seiner Heimatstadt, gebaut werden sollte." Etwas süffisant zusammengefasst: Die Stadtregierung von Toronto wollte wohl Gehry dabei helfen, herauszufinden, was seine Vision für Toronto ist.

Der aber fand das nur bedingt komisch. Also postulierte er bei der Präsentation seiner vermutlich letzten Überarbeitung: "Ich wollte stets, dass die beiden Türme jeweils ihre eigene Persönlichkeit haben. Aber ich wollte auch, dass sie miteinander sprechen. Dass sie eine dynamische und sich verändernde Ergänzung der Skyline schaffen, je nachdem, von wo aus man sie in der Stadt betrachtet." Alles andere als einen „Standard-Glasbau“, natürlich.

Mehr Geduld als normal

Und vermutlich hätte sich der Pritzker-Preisträger bei keinem anderen Auftraggeber so geduldig gezeigt. Aber: Heimat ist Heimat. So feilte der Großmeister eben weiter an seiner in sich verdrehten Fassade, die er nun mit diesen Worten neu vorstellte: „Die Detaillierung des Äußeren soll den Gebäuden einen menschlichen Maßstab verleihen. Sie wird das Licht die Farben der Stadt und des Himmels um die Türme herum reflektieren.“ Spitzer Nachsatz: „Am Ende soll es ein Gebäude für Toronto sein, das die Stadt hoffentlich stolz machen wird."

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Was aber heißt das aus architektonischer Sicht nun genau? Der neue Entwurf zeichnet sich vor allem durch eine Gebäudehülle aus, die mit verschiedenen energieeffizienten Materialien verkleidet ist. Außerdem umfasst sie eine noch feiner strukturierte Metall- und Glasfassade, die laut Cohen das Bauwerk zu einer einzigartigen Ergänzung der Skyline von Toronto machen und sie gleichzeitig reflektieren wird.

Zitat: "Wenn man sich die Form der Gebäude, die wandernde Sonne, die Vielfalt der Materialien und die verschiedenen Winkel des Glases im Zusammenspiel vorstellt, ergibt es ein sorgfältig choreographierter Tanz. Ein Spektakel, das zu jeder Tageszeit von jedem Punkt aus betrachtet einmalig sein wird! Das Ensemble wird sofort zu einem Wahrzeichen von Toronto werden."

Frank Gehrys höchstes Hochhaus

Vor allem aber werden die 298 Meter beziehungsweise 262 Meter hohen Wolkenkratzer des Gehry Projects in Toronto der höchste Bau aus Frank Gehrys Feder sein. Der 74-stöckige Ostturm und der 84-stöckige Westturm, die an der King Street West zwischen dem Royal Alexandra Theatre und dem Princess of Wales Theatre gebaut werden, sollen etwa 2.000 Eigentumswohnungen und 150.000 Quadratmeter Gewerbefläche integrieren. Ein Hotel ist genau so geplant, wie eine Kunstgalerie und ein neuer Campus der OCAD University.

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Derzeit liegen die Pläne dem städtischen Ausschuss vor. Ein Formalakt, hofft Cohen. Und fügt als Bauherr an: "In diesem Fall ist die Realisierung von Franks Vision kein Sprint. Die Sache ist ein Marathon. Und für uns geht mit der Ehre, diese Vision zu bauen, die Verantwortung einher, am Ende alles richtig zu machen."

Bleibt nur zu hoffen, dass Frank Gehry das Gehry Project in seiner geliebten Heimatstadt auch noch selbst einweihen kann. Aktuell jedenfalls ist er so fit, dass man ihm den Zieleinlauf bei diesem so besonders harten Marathon getrost zutrauen darf.

Text: Johannes Stühlinger Bilder: Gehry Partners LLP

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