Chronik/Wien

Wohnungslosigkeit in Wien: Forderung nach ganzjährigen "Winterquartieren"

Die Zahl der Menschen in Österreich steigt immer weiter. Mit Stichtag 1. April waren es schon mehr als neun Millionen. Nicht unwesentlich für das Wachstum sind die Menschen aus dem Ausland, die nach Österreich ziehen. Allein in Wien haben 31,5 Prozent der 1,9 Millionen Menschen eine ausländische Staatsbürgerschaft.

Gleichzeitig ist die Armutsgefährdung genau dieser Menschen besonders hoch, wie der Situationsbericht 2022 des Verbands der Wiener Wohnungslosenhilfe zeigt. 34 Prozent der Wiener mit ausländischer Staatsbürgerschaft sind von Armut gefährdet. Die Armutsgefährdung der Österreicher liegt hingegen nur bei 14 Prozent.

Während österreichische Staatsbürger im Fall von Wohnungslosigkeit auf verschiedene Sozialleistungen bauen können, fallen Bürger aus anderen EU-Staaten oder Drittstaaten häufig durch das Netz. Das betrifft auch Menschen, die seit Jahren ihren Lebensmittelpunkt in Wien haben. Derzeit haben also nur jene Menschen ein Recht auf soziale Leistungen, die ganz spezifisch rechtliche Rahmenbedingungen erfüllen oder dokumentiert arbeiten.

"Ein Bauarbeiter, der nicht gemeldet auf einer Baustelle in Wien arbeitet, sich dort verletzt und anschließend nicht mehr arbeitsfähig ist und seine Wohnung verliert, hat kein Recht auf Sicherheitsleistungen. Das gleiche gilt für die ausländische Reinigungskraft, die in privaten Haushalten aufräumt", sagt neunerhaus Geschäftsführerin Elisabeth Hammer. Die Rede ist also von nicht anspruchsberechtigten Personen.

Saisonale Unterkünfte

Lediglich in kurzfristigen, saisonal begrenzten Unterkünften dürfen auch nicht anspruchsberechtigte Personen die Nächte verbringen. Während der Corona-Pandemie wurde das "Winterpaket", das in der kalten Jahreszeit 900 Schlafplätze und vier Wärmestuben betreibt, erstmals auf einen Ganztagesbetrieb umgestellt. Zuvor durften die wohnungslosen Menschen in der Notunterkunft zwar die Nacht verbringen, mussten sie am Tag aber wieder verlassen. "Das hat die Menschen zu einem Leben in der Öffentlichkeit gezwungen", sagt Oliver Löhlein, Geschäftsführer beim Samariterbund Wien. Der dauernde Stress und die Kälte habe vermehrt zu physischen und psychischen Krankheiten geführt.

Dass es den wohnungslosen Menschen nicht darum gehe, so lange wie möglich in den Notquartieren zu bleiben, zeigt der Situationsbericht. 34 Prozent der Männer und 43 Prozent der Frauen verweilen nicht länger als zehn Tage in der Winternothilfe. Daneben gebe es aber auch eine besonders vulnerable Gruppe, der es besonders schwer falle irgendwo anderes eine Unterkunft zu finden.

Rund ein Viertel der Menschen bleibe nämlich mindestens 90 Tage in der Notunterkunft. "Dabei handelt es sich aber um eine überschaubare Zahl, die bewältigbar ist", sagt neunerhaus Geschäftsführerin Elisabeth Hammer. Zwischen 230 und 240 Menschen seien davon betroffen.

3,2 Millionen Einsparungen

Gefordert werde deshalb die ganzjährige und ganztägige Öffnung der Winternotquartiere auch nach Ende der Pandemie. "Wohnungslosigkeit ist nämlich nicht saisonal und auch nicht herkunftsgebunden", sagt Oliver Löhlein, Geschäftsführer beim Samariterbund Wien. Die Öffnung der Notquartiere bringe außerdem auch volkswirtschaftliche Vorteile: Menschen ohne Unterkunft befänden sich in einer Abwärtsspirale, so Löhlein.

Die Wohnungslosigkeit führe zu Krankheit und langen Spitalsaufenthalten, die wiederum mit hohen Kosten verbunden sind. Könnten die Menschen nach deren Entlassung aus dem Krankenhaus in eine Notunterkunft gebracht werden, ergebe das ein Einsparungspotenzial von 3,2 Millionen Euro. Zusätzlich könnten langfristige Wohnunterkünfte Menschen bei der Genesung oder dem würdevollen Sterben begleiten.

Um gleichzeitig aber auch Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen, die häufig der erste Schritt in die Wohnungslosigkeit ist, fordert der Verband Wiener Wohnugslosenhilfe einen niederschwelligen und unbürokratischen Zugang zu medizinischen Leistungen, auch für Menschen ohne Papiere.