Chronik/Wien

"Vollquargel": Hacker kontert Kritik am Wiener Krisenmanagement

KURIER: Angesichts der stark steigenden Infektionszahlen – vor allem in Wien – zeigt sich Gesundheitsminister Rudolf Anschober besorgt. Sind Sie es auch?

Peter Hacker: Wenn ein Gesundheitspolitiker jetzt nicht besorgt ist, ist es besser, er nimmt seinen Hut. Warum sollten wir auch glauben, dass wir uns von einer europaweiten Entwicklung abkoppeln könnten?

Warum hat es Wien nicht geschafft, rechtzeitig genügend Personal für Testungen und Contact Tracing zur Verfügung zu stellen?

Mich erstaunt diese Diskussion. Ich war der einzige Gesundheitspolitiker, der schon im Mai gesagt hat, dass die Zahlen im Herbst wieder nach oben gehen werden, während unsere Bundesregierung am 1. September noch eine Lockerungsverordnung in Kraft treten hat lassen, wo sämtliche Spielregeln gefallen sind. Wir haben für genügend Personal gesorgt, haben aber nicht mit einigen Querschüssen gerechnet. Kein Mensch hat damit gerechnet, dass die Ankündigung der Grenzsicherung so schleißig gehandhabt wird wie in unserem Land. Wir haben jetzt ein Volumen abzuarbeiten und eine Organisation aufzubauen, was nicht von heute auf morgen geht. Es gibt 150 österreichische Bezirke mit schlechteren Zahlen, trotzdem redet man immer nur über Wien.

Medien berichten, dass in Wien das Contact Tracing zusammengebrochen sei, weil bei vielen Fällen die Infektionsquelle nicht mehr rückverfolgt werden kann.

Das ist ein absoluter Vollquargel. Die Rate ist mittlerweile wieder bei 80 Prozent. Auch bei der Hotline 1450 haben wir wieder eine durchschnittliche Wartezeit von unter einer Minute, über den Tag gerechnet. Bei der Testabnahme zu Hause haben wir nun eine Wartezeit von quasi null: Wenn jemand anruft, wird spätestens am nächsten Tag der Abstrich genommen. Da schaue ich mir an, was in der Bundesregierung alles nicht funktioniert hat – etwa die sinnlose Corona-App.

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Das klingt jetzt sehr nach Wahlkampf.

Mir geht es wirklich auf die Nerven, dass sich die Minister und der Kanzler auf den Balkon des Kommentierens zurückgezogen haben. Nach wie vor gilt aber: Der Gesundheitsminister ist der Chef aller Maßnahmen in einer Epidemie und nicht der erste Kommentator. Ich lasse mir nicht vorwerfen, dass wir in Wien den Sommer am Gänsehäufel verbracht haben.

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Ist ein zweiter Lockdown in Wien zu erwarten?

Der Lockdown war eine verständliche Maßnahme zu Jahresbeginn, weil wir überhaupt keine Erfahrung mit der Pandemie hatten. Inzwischen haben wir gelernt, wie wir auf sie Einfluss nehmen können. Deshalb gibt es überhaupt keinen Grund für einen zweiten Lockdown.