Telefonseelsorge: Warum Einsamkeit auch ein Sommerthema ist
Von Anya Antonius
Wenn die Temperaturen auch nachts kaum unter 30 Grad sinken, die Schanigärten überfüllt sind und die Sommerferien in vollem Gange, dann herrscht bei der Telefonseelsorge Hochbetrieb. Denn nicht für alle ist der Sommer ein Grund zur Freude. Für viele bedeutet er vor allem eines: Einsamkeit.
"Wien leert sich mit Ferienbeginn, die Leute schauen, dass sie aus der Stadt rauskommen. Dazu kommt, dass es viele Menschen gibt, die kein großes soziales Umfeld haben. Wenn dann die zwei Menschen, mit denen sie regelmäßig Kontakt haben, auf Urlaub sind, sind sie ganz alleine", erzählt Antonia Keßelring, Leiterin der Telefonseelsorge Wien. Hinzu kommt, dass auch viele Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Psychologinnen und Psychologen sowie Psychiaterinnen und Psychiater auf Urlaub sind. Und so klingeln im Büro der Telefonseelsorge Wien durchschnittlich 130 Mal pro Tag die Telefone - das sind rund 10 Prozent mehr als sonst.
Unerträgliche Bedingungen
Der Anstieg beginnt mit den Sommerferien - die oft auch mit der ersten Hitzewelle zusammenfallen. "Viele, die bei uns anrufen, leben auch auf engstem Raum - und das wird gerade in der Hitze schnell unerträglich. Man ist allein, in der Wohnung ist es heiß, aber man traut sich nicht so richtig raus", sagt Keßelring. Denn ein großes Problem sei auch die Lethargie, die oft mit der Hitze einhergeht: "Theoretisch kann man ja in Wien jeden Tag etwas unternehmen, es gibt zum Beispiel Naturbäder, die nichts kosten. Aber oft haben die Leute ein bisschen Angst, etwas Neues auszuprobieren, oder trauen sich alleine nicht so richtig." Und wenn man erst einmal in diesem Fahrwasser ist, sinkt die Motivation nur noch mehr.
In solchen Fällen kann ein Anruf bei der Telefonseelsorge sehr entlastend sein. Mit gut gemeinten Ratschlägen halte man sich hier aber sehr zurück, sagt Keßelring. "Wir geben erst einmal keine Ratschläge. Wenn jemand aus Einsamkeit bei uns anruft, hat er sich schon viele Gedanken gemacht und das Problem lange mit sich herumgeschleppt." Tipps, die mit "Machen Sie doch einfach einmal ..." beginnen, sind nach Ansicht der Expertin nicht hilfreich. "'Einfach' scheint bei diesen Ratschlägen immer das wichtigste Wort zu sein. Wir hören erst einmal zu."
Gedankenspirale unterbrechen
So würden manchmal Menschen anrufen und sagen: "Heute ist Donnerstag und ich habe die ganze Woche noch keine zwei Sätze gesprochen." Dann setzt Keßelring an und fragt: "Erzählen Sie mir von Ihrem Tag, haben Sie etwas Schönes erlebt? Was nehmen Sie aus dem Tag mit? Ich halte mich nicht zu lange damit auf, wie die Einsamkeit entstanden ist, das hilft in dem Moment oft nicht weiter. Wenn die Person dann schon ein bisschen anders klingt und mehr Selbstvertrauen in der Stimme hat, dann kann man sich gemeinsam dem nächsten Tag zuwenden".
Man muss sich kein großes Programm überlegen, aber vielleicht gibt es im Bekanntenkreis doch jemanden, den man anrufen kann. Oder man schaffe es, dorthin zu gehen, wo andere Menschen sind, sich in einen Park oder auf einen Spielplatz zu setzen. Oft fällt einem selbst etwas ein, wenn man die negative Gedankenspirale aus Selbstvorwürfen und Scham durchbrochen hat.
Für die Einsamkeit schämen
Denn auch das ist für viele eine große Hürde: Einsamkeit ist sehr schambesetzt. Und das fängt schon früh an, sagt Keßelring: "Schon in der Schule wird man danach beurteilt, wie viele Freunde man hat. Und dann kommt es zu Gedanken wie: ,Wenn ich anders wäre als ich bin, dann würden mehr Leute um mich sein wollen.' Aber es gibt oft einen Grund, warum man sich zurückzieht. Man ist vielleicht enttäuscht worden, man hat gelernt, allein bist du sicherer. Aber die sichere Burg wird irgendwann einfach zum Gefängnis." Und das ist im Sommer auch noch unerträglich heiß.
Das die Anrufzahlen im Sommer steigen, sei zwar kein neues Phänomen, sagt Keßelring. Was sich aber verändert habe: "Das Hitzethema. Das hatten wir zwar früher auch, aber jetzt macht sie den Menschen mehr Angst, weil sie auch als Zeichen der Klimakatastrophe gesehen wird und die Leute Angst haben, dass ihre Wohnung bald quasi unbewohnbar wird." Das kann Keßelring zwar nicht ändern - aber sie sitzt im selben Boot. "Wir dürfen im Büro aus Diskretionsgründen nicht einmal das Fenster aufmachen, und aus Denkmalschutzgründen keine Klimaanlage installieren. Ich kann also sehr mitfühlen - und oft hilft das auch schon."
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