Chronik/Wien

Narrenturm: Wie Lepra und Pocken durch Moulage verewigt wurden

Vor fast 130 Jahren, im Jahr 1897, machte sich ein schwerkranker Kaufmann aus Thessaloniki auf die lange Reise nach Wien. Er litt an Lepra und wollte sich in Wien behandeln lassen. Woher haben wir heute diesen kleinen Einblick in das Leben dieses Mannes, über den sonst kaum etwas bekannt ist? 

Von seinem mit dunklen Wunden übersäten Knie ist eine sogenannte Moulage erhalten. Sie ist Teil der aktuellen Sonderausstellung im Wiener Narrenturm: "Die Kunst der Moulage - verewigte Krankheitsbilder".

"Die Kunst der Moulage - verewigte Krankheitsbilder"

Wann: Von 29. Mai bis 20. April 2025

Wo: Narrenturm im Alten AKH, Spitalgasse 2, 1090 Wien

Info unter: nhm.wien.ac.at/moulagen

Es handelt sich dabei um Wachsabgüsse eines Krankheitsbildes, die im Medizinstudium als Anschauungsobjekte dienten. Im Gegensatz zu den bis dahin üblichen Zeichnungen ermöglichten sie die dreidimensionale Betrachtung erkrankter Körperregionen - was besonders häufig im Fachgebiet der Dermatologie und Venerologie genutzt wurde. 

Eine Wiener Tradition

Vereinfacht gesagt, lief eine Moulage in folgenden Schritten ab: Zunächst wurde ein Gipsabdruck der betroffenen Körperregion angefertigt, dieser mit einer Wachsmischung ausgegossen und die Wachsform naturgetreu koloriert. Die fertige Moulage, auf einer Holztafel montiert und mit der jeweiligen Diagnose versehen, konnte fortan als Lehrmittel eingesetzt werden.

In Wien hat diese Kunstform der Medizin übrigens eine lange Tradition. "Wien war ja im 18. und 19. Jahrhundert als Kaiserstadt das medizinische Zentrum der K & K-Monarchie", erklärt Eduard Winter, Kustos der pathologisch-anatomischen Sammlung im Narrenturm. "Die Wiener medizinische Schule war weltberühmt."  

Vor allem Carl Henning, selbst Arzt, machte sich auf dem Gebiet der Moulagen einen Namen. Er begann 1892 im Auftrag der Medizinischen Fakultät der Universität Wien mit der Herstellung von Moulagen für den medizinischen Unterricht. Aufgrund der großen Nachfrage wurde bald ein eigenes Universitätsinstitut für Moulagen gegründet. Nach seinem Tod 1917 übernahm sein Sohn Theodor das Institut und perfektionierte das Verfahren. 

"Spätestens mit Beginn des Zweiten Weltkriegs ist die Moulagenherstellung aber in Vergessenheit geraten, es war auch kein Geld mehr dafür da. Und irgendwann gab es niemanden mehr, der die Technik beherrschte", sagt Winter. Farbfotografien lösten die in der Produktion deutlich aufwändigeren Moulagen schließlich ganz ab. Die Ausstellung soll diese vergessene Kunst nun wieder ins Bewusstsein rücken.  

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Menschliche Schicksale

Für zartbesaitete Gemüter ist der Besuch wohl eher nichts. Schließlich jagt zum Beispiel die Moulage des kompletten Oberkörpers eines an Lepra erkrankten Mannes, die früher im Halbdunkel eines Sammlungsraumes auf einem Tisch stand, den Mitarbeitern der Sammlung schon seit vielen Jahren einen Schreck ein. 

Aber auch Pockenmale auf Unterarmen, von Hauttuberkulose regelrecht zerfressene Gesichter oder beulenartige Ausschläge auf den Händen: Was uns heute und hierzulande schockiert, war noch vor nicht allzu langer Zeit kein ungewöhnlicher Anblick auf Wiens Straßen. "Diese Krankheiten waren damals einfach nicht heilbar, und so ist man dann eben auch unter Menschen gegangen, wenn man nicht hochansteckend war", sagt Winter.

Beim Rundgang wird eines deutlich: Hinter jedem der Exponate - nur ein kleiner Teil der 3.000 Exemplare umfassenden Sammlung - steht ein Mensch mit seiner ganz persönlichen Krankheitsgeschichte. "Für die Patienten war die Moulage sicher kein angenehmer Prozess, man kann sich vorstellen wie weh das tut, wenn ein Abdruck von einem entzündeten Körperteil genommen wird", sagt Katrin Vohland, Generaldirektorin und wissenschaftliche Geschäftsführerin des Naturhistorischen Museums. "Wir dürfen diesen Menschen sehr dankbar sein". 

Denn die Moulagen waren für die Forschung und Entwicklung der modernen Medizin von großer Bedeutung - und damit auch dafür, dass die so verewigten Krankheitsbilder nicht mehr Teil unserer Realität sind.