Chronik/Wien

Was das Lorenz Böhler-Spital zum Politikum macht

"Wir bleiben hier für unsere Patienten", "Der Patient Böhler darf nicht sterben", "Bei Böller-Knall ins Böhler-Spital": Eine Woche nach Bekanntwerden, dass das Unfallkrankenhaus Lorenz Böhler in Wien-Brigittenau saniert wird und dafür geschlossen werden muss, tut die Belegschaft öffentlichkeitswirksam ihren Unmut kund. Und ihr Unverständnis über die Geschehnisse der vergangenen Tage. 

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Wie der KURIER berichtet, wird Ende Februar gleichsam über Nacht bekannt, dass das Unfallkrankenhaus in der Donaueschingenstraße "baulich adaptiert werden muss". Wie aus einer Email der AUVA vom 28. Februar an die Belegschaft hervorgeht, heißt es: "Das über 50 Jahre alte Gebäude erfordert bau- und brandschutztechnische Maßnahmen, die weder kurzfristig noch im laufenden Betrieb umsetzbar sind."

Trotz "intensiver Bemühungen aller Beteiligten" sei es nicht "möglich, den Standort in seiner derzeitigen Form aufrechtzuerhalten". Die baulichen Mängel seien zu groß, eine Sanierung ob des fehlenden Brandschutzes bei laufendem Betrieb nicht möglich. Das besagt das Gutachten von Erich Kern, der im Ö1-Interview am 4.3.2024 dazu befragt wird. Die Mängel seien laut Kern vor wenigen Wochen erst festgestellt und in der Form nicht bekannt gewesen. "Seit einer Woche wissen wir, dass der Mangel nicht zu kompensieren ist.“ Anfang April soll das Böhler geschlossen sein - der letzte Patient das Krankenhaus verlassen haben.

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Das will das rund 500 Menschen umfassende Team des Lorenz Böhler so nicht stehenlassen. Nicht nur, weil die "sukzessive und temporäre Verlagerung von Leistungen des Standorts Brigittenau an dislozierte Standorte" nicht zeitgerecht und transparent kommuniziert wurde, sondern weil es unterschiedliche Informationen über die bäulichen Mängel und deren Bekanntwerden sowie das Gutachten gibt.  

Heinz Brenner, Obmann für Unfallchirurgie der Wiener Ärztekammer und stellvertretender Betriebsratsvorsitzender im Lorenz-Böhler-Spital, fordert in einer dem KURIER vorliegenden Email vom 5.3.2024 Gutachter Kern auf, "sämtliche Unterlagen, die Grundlage Ihrer Entscheidungsfindung waren, incl. des abschließenden Gutachtens an die Betriebsratskörperschaft des Lorenz Böhler Unfallkrankenhaus zu übermitteln." 

Die "äußerst angespannte Situation" erfordere "eine zeitnahe Übergabe, diese muss bis spätestens 08.03.2024 erfolgen", schreibt Brenner. 

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Zudem heißt es in der Email an Sachverständigen Kern abschließend: "Da Sie bezüglich einer Sanierbarkeit bei laufendem Betrieb in der Mitarbeiterinformationsveranstaltung vom 04.03.2024 (Tonbandmitschnitt liegt vor) und dem Morgenjournal auf Ö1 vom 05.03.2024 komplett gegensätzliche Aussagen getätigt haben, möchten wir die Unterlagen zusätzlich von einem externen Experten überprüfen lassen. Auch die unangekündigten nächtlichen Arbeiten Ihrer Firma am 04.03.2024 im Lorenz Böhler Unfallkrankenhaus haben nicht zur Steigerung des Vertrauens beigetragen."

Das geringe Vertrauen begründet Brenner im KURIER-Gespräch mit den Geschehnissen - der nicht transparenten wie zeitnahen Kommunikation - der jüngsten Vergangenheit und mit der Politik. 

"Die AUVA ist die einzige Sozialversicherung, die von den Arbeitgebern bezahlt wird", führt Heinz Brenner aus. "Jeder Arbeitgeber zahlt für jeden Arbeitnehmer 1,2 Prozent der Lohnsumme, damit dieser versichert ist. Seit Jahrzehnten hören wir, dass die Lohnnebenkosten zu hoch sind. Erster Adressat in der Debatte: immer die AUVA. Die Wirtschaftskammer hat das Sagen und was mache ich als Partei der Arbeitgeber, damit ich mein Klientel bedienen kann vor einer Wahl wie heuer? Ich biete meiner Wählerschaft an, einzusparen."

Bringt Böhler-Aus Einsparung für Arbeitgeber?

80 Prozent der im Krankenhaus anfallenden Kosten seien Personalkosten, führt Brenner aus. Im Falle des Lorenz Böhler seien dies 50 Millionen Euro pro Jahr. Damit senke sich der Arbeitgeberbeitrag um ein Zehntel Prozent. Und damit würde, so Brenners Lesart, ein politisches Wahlversprechen - Senkung der Lohnnebenkosten - wahrgemacht werden. So argumentiert auch SPÖ-Mandatar Rudolf Silvan in einer Aussendung. "Um eine derartige Beitragssenkung finanzieren zu können, wäre es möglich, dass das Lorenz-Böhler-Spital vollständig dem Sparstift zum Opfer fällt!“ 

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Mit der Belegschaft ihren Protest kundtut am 6.3. auch GPA-Chefin Barbara Teiber. Sie habe schon einmal vor dem Lorenz Böhler protestiert - und zwar als die damalige ÖVP-FPÖ-Regierung die AUVA auflösen und die Spitäler schließen wollte, um "Großspendern“ eine Beitragssenkung zu ermöglichen, so auch Teibers Narrativ. Der Einsatz habe sich gelohnt, dem gemäß sei sie auch jetzt zuversichtlich. 

Die AUVA ist die soziale Unfallversicherung für über 4,5 Millionen Menschen in Österreich. Zudem betreibt sie das Lorenz Böhler-Krankenhaus und Krankenhaus Meidling in Wien sowie Unfallkrankhäuser in Klagenfurt, Linz, Salzburg und zudem zwei Spitäler in der Steiermark. 

Laut AUVA-Statistik waren 2022 bei der AUVA versichert:

  • 1.322.406 Arbeiter  
  • 1.931.661Angestellte
  • 1.436.330 Schüler, Studenten und Kindergartenkinder

also insgesamt 4.690.397 Menschen
Die Arbeitsunfallstatistik aus 2022 besagt:

  • 62.141 Arbeiter
  • 24.660 Angestellte
  •  56 freie Dienstnehmer:
  • 3.216 sonstige geschützte Personen 
  • 45.472 Schüler, Studenten und Kindergartenkinder: 

also insgesamt 4.690.397 Menschen

Viele Patientinnen und Patienten der AUVA sind keine Unfallpatienten.
Finanziert wird das Leistungsspektrum wie erwähnt von den Arbeitgebern. Ob das Angebot so bestehen bleiben muss, darüber gibt es seit Jahren politische Kontroversen. 

Für eine Reduzierung des Angebots spricht für einige allein der Umstand, dass die Zahl der Arbeitsunfälle seit Jahrzehnten kontinuierlich zurückgeht. Laut einer Statistik der Sozialversicherung nimmt die Zahl der Arbeitsunfälle kontinuierlich ab. Im Jahr 2000 entfallen laut Statistik noch 2.959 Arbeitsunfälle auf 100.000 Unfallversicherte, 2022 sind es 1.764,2 Unfälle pro 100.000 Unfallversicherte.

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Zudem von AUVA-Kritikern ins Treffen geführt wird wiederum, dass der Standort in Wien Brigittenau attraktiv für Immobilienentwickler sei, die AUVA Ambitionen habe, das Krankenhaus dort deshalb zu räumen, um eben nicht an den Standort zurückzukehren, sondern selbigen zu veräußern.

Die medizinischen Leistungen des Lorenz Böhler sollen bis zur vollständigen Sanierung ausgelagert und dann wieder am Standort angeboten werden - und zwar in einem bis 2023 zu errichtenden "Forschungs-, Wirtschafts- und Gesundheitscampus" - so der Informationsstand am 6.3. Wiens Stadtrat Peter Hacker im Ö1-Interview Anfang März bestätigt selbiges: "Es gibt eine klare Vereinbarung mit dem Obmann der AUVA. Hinter der Formulierung Forschungs-, Wirtschafts- und Gesundheitscampus verbirgt sich die Fortführung des Leistungsspektrums, das die AUVA am Standort Lorenz Böhler abarbeitet." An ein Zusperren des Lorenz Böhler sei nicht zu denken, zumal es die medizinische Versorgung der Bundeshauptstadt mit gewährleisten.

Kritiker der AUVA und Teile der Belegschaft unterstellen indes, dass die Sanierung des Lorenz Böhler gleichsam den "Tod" des Unfallkrankenhauses bedeutet, durch eine Verteilung des derzeitigen Böhler-Personals auf zwei Häuser (AKH und Traumazentrum Meidling) die vorhandene Expertise ebenso verloren gehe wie die Teams selbst. An eine Rückkehr an den Standort nach der Sanierung ab 2025 und folgend glauben die wenigsten.