Frühstücksservice im Bezirksgericht Meidling: Perspektiven für Jugendliche
Von Nina Oezelt
Um 9 Uhr klopft es an der Tür einer Richterin im Bezirksgericht Meidling. "Frühstücksservice", ruft eine 16-Jährige in den Raum hinein. Sie trägt ein schwarzes Shirt und eine rote Schürze. Hinter ihr stehen noch mehrere Jugendliche in demselben Outfit. In der Mitte steht ein rollendes Wagerl, voll gefüllt mit belegten Brötchen, gefüllten Semmerl und Weckerl.
Wenn die Richter und Rechtspraktikanten das hören, kommen sie - trotz der vielen Akten auf ihren Schreibtischen - aus ihren Zimmern hervor.
"Ich bestelle einen Smoothie", sagt eine der Richterinnen und gibt den Jugendlichen Geld in die Hand. Demyana, eine der Jugendlichen, fragt ein anderes Mädchen nochmals, wie viel der Smoothie kostet. Jeder der teilnehmenden Jugendlichen hat eine andere Geschichte, warum er hier im Bezirksgericht ist und Brötchen verkauft.
Meistens aber haben sie nirgendwo reingepasst. Oder sind den Ansprüchen nicht gerecht geworden. Sie haben die neun Jahre Schule gemacht, aber vielleicht keinen Abschluss. Sie haben besondere Lernansprüche, eine Behinderung oder oft auch seelische Probleme und den Familien fehlen finanzielle Mittel. Das Leben hat viele Facetten und in einer schnelllebigen Gesellschaft wird nicht auf alle Rücksicht genommen.
Jugendcoaching als österreichweites Programm
Und dann greift etwa das Projekt Jugendcoaching. Noch in der Schule versucht das Programm Jugendlichen, eine Perspektiven zu geben, wo es oft schwer ist, sie zu sehen. Das vom Sozialministerium geförderte Programm, welches in ganz Österreich läuft, coacht die Jugendlichen und vermittelt sie je nach Bedarf an weitere unterschiedliche Programme.
Eines davon ist eben AusbildungsFit BOK im Bereich Gastronomie. Vor den Türen der Richter stehen die Jugendlichen und rechnen gemeinsam, wie viel Rückgeld sie geben müssen. Daneben steht ein Betreuer. Er kontrolliert und hilft, wenn es notwendig ist. Er hält sich aber sehr zurück, bessert manchmal die Summen und das Restgeld aus. Dann geht es weiter zur nächsten Tür, diesmal sitzt dahinter ein Rechtspraktikant.
Die Jugendlichen hatten sich schon um 7.45 Uhr am selben Tag getroffen. Jeder von den Jugendlichen hat denselben Einkaufszettel bekommen. Dieser ist unterteilt in die Kategorien: Obst & Gemüseabteilung, Gebäck & Mehlspeise-Abteilung, Wurst & Fleischtheke und Tiefkühlprodukte. Jeder Jugendlicher wird für einen Bereich eingeteilt. Diese Aufteilung hilft, sich an Strukturen zu gewöhnen und kleine Einheiten schneller zu erledigen. Nach dem Einkaufen heiß es dann: Ab ins Bezirksgericht.
Jeden Dienstag und Donnerstag
Die Sicherheitsmitarbeiter beim Eingang kennen die Jugendlichen schon und grüßen sie. Sie wissen, dass die Jugendlichen jeden Dienstag und Donnerstag die guten Brötchen am Gang verkaufen. "Es belebt auch das Bezirksgericht", sagt Richter Oliver Scheiber, der auch das Bezirksgericht leitet.
In dem Bezirksgericht kümmere man sich vor allem um Familienangelegenheiten, Obsorge der Kinder und auch immer öfter um Erwachsenenschutz, Verlassenschaften, Scheidungen. Seit Corona werde vieles telefonisch geklärt, erzählt er. Die Menschen kommen nicht mehr so oft zum Gericht, wie damals, alleine deswegen sei es schön, dass die jungen Besucher hier vorbei kommen. Eine Zunahme merke er übrigens auch wegen der Teuerung, der steigenden Mieten und der vielen Exekutionsverfahren.
Rund 60 Mitarbeiter gebe es im Haus, die sich auf den Besuch der Jugendlichen freuen würden. Er sei stolz darauf, dass die Jugendlichen hier arbeiten können. In keinem anderen Wiener Bezirksgericht gebe es so etwas. Nur in Linz gebe es ein ähnliches Projekt, wo Menschen mit Behinderungen eine Kantine leiten.
Alle Brötchen haben die Jugendlichen selbst zubereitet. Sie müssen eine Inventarliste führen und lernen auf den unterschiedlichen Stationen Verantwortung zu übernehmen: Schneidestation, Belegstation oder Wasch-Station. Eines der Mädchen möchte Köchin werden, eine andere möchte mal im Service arbeiten. Matthias ist schon länger dabei: Er möchte am liebsten einmal Computerspiele programmieren. Das Verkaufen macht ihm aber auch Spaß, sagt er.
Andere Geschichten, andere Herausforderungen
Ein anderes Mädchen erzählt, dass sie vor wenigen Jahren aus dem Iran gekommen ist und deswegen hier sei. Aber sie lerne jeden Tag Deutsch und will perfekt werden. Sie habe außerdem schon eine Lehrstelle als Drogisitn in einem großen Unternehmen in Aussicht. Jeder hier hat eine Geschichte und andere Herausforderungen zu bewältigen: ein Mädchen wäre fast an einer Erkrankung gestorben, andere haben früh ein Elternteil verloren. Andere sind in einem späten Alter nach Wien gekommen: Demyana etwa sagt, sie hatte in Niederösterreich keine Möglichkeit einen Deutschkurs zu machen, erst in Wien konnte sie Deutsch richtig lernen.
Während der Teilnahme der Jugendlichen im Programm Ausbildungsfit bekommen die Jugendlichen übriges die Deckung des Lebensunterhaltes (DLU). Das sind 15 Euro pro Tag.
In Wien besuchen etwa 240.000 Kinder und Jugendliche die Schule, rund 160.000 davon sind Pflichtschüler. Wie viele Schüler zwar die Schulpflicht haben, aber keinen positiven Pflichtschulabschluss konnte die Bildungsdirektion Wien nicht beziffern. Laut Statistik Austria hatte im Jahr 2019 jedoch 33,4 Prozent der Bevölkerung im Alter von 25 bis 64 Jahren einen Lehrabschluss und 17,6 Prozent einen Pflichtschulabschluss. Bei Personen mit Pflichtschulabschluss ohne weitere Ausbildung liegt die Armutsgefährdungsquote bei 25,2 Prozent.
17.000 betreute Jugendliche im Jahr 2022
Das Projekt Jugendcoaching betreute im Jahr 2022 rund 16.942 Jugendliche in Wien, heißt es auf KURIER-Anfrage. Es wird versucht, hier rechtzeitig einzugreifen und den Jugendlichen eine Möglichkeit zu geben in die Berufswelt einzusteigen und sie schrittweise zu begleiten, ihnen neue Perspektiven aufzuzeigen. Neben Ausbildungsfit BOK (Berufsorientierungskurs) Gastro, gibt es übrigens etwa auch das Pilotprojekt BOK Justiz oder BOK Handwerk. Im Bereich Justiz können inhaftierte junge Erwachsene in einer Art Werkstatt mitmachen, bei BOK Handwerk können die Jugendlichen auch in einer Werkstatt mithelfen.