Neue Ausstellung über den Winter in Wien - und warum er verschwindet
Von Johanna Kreid
Erinnern Sie sich? An Schneeballschlachten, Rodeln im Prater oder Schneemassen, die sich wochenlang auf den Gehsteigen türmten? Von einer Schautafel mit diesen Fragen werden die Besucher der neuesten Ausstellung im Wien Museum begrüßt.
In der geht es im Wortsinn um „Schnee von gestern“: Nämlich um den Winter in Wien, wie er einst war – aber auch um das Ausbleiben des Schnees heute. Zurückzuführen ist dies auf den Klimawandel; was das Thema zu einem gar nicht gestrigen, sondern topaktuellen macht.
„Winter in Wien – vom Verschwinden einer Jahreszeit“ lautet der Titel der Ausstellung, die am Mittwoch eröffnet wurde. 30.000 Objekte zum Thema habe man gesichtet, 600 schließlich ausgewählt, erklärt Kuratorin Lisa Noggler-Gürtler.
Darunter etwa Darstellungen vom Eislaufen auf dem Wiener Neustädter Kanal (1805), vom ersten Schnee auf dem Naschmarkt (1911) oder von der verschneiten Hietzinger Hauptstraße (1955).
Nicht nur Nostalgie
Bilder, die idyllisch wirken und nostalgisch machen. Dabei sei es keineswegs das Ziel, in Nostalgie zu versinken, wie Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler betont: „Natürlich verklärt man die eigene Kindheit. Wenn es schneit, die Stadt still wird, ein bis zwei Tage eine andere Akustik herrscht – bis dann alles voller Gatsch ist.“ Vielmehr wolle man den Blick auf die sozialen Realitäten der Menschen in der Stadt lenken.
Der Eisstoß 1929 wurde zum Spektakel
Freilich, die Ausstellung zeigt, dass die Wiener immer schon Spaß im Schnee hatten, etwa beim Skifahren, Rodeln oder Eislaufen. Ein besonderes Spektakel war übrigens der Eisstoß 1929: Aufgrund extremer Kälte hatten sich bei der Reichsbrücke bizarre Eislandschaften formiert, die auf Bildern und Postkarten festgehalten wurden. Schaulustige konnten bei „Eisstoß-Maroni“ und warmen Getränken das Spektakel bewundern, heißt es auf einer der Tafeln, die durch die Schau geleiten.
Wien, die Stadt der schönsten Muffe
Und die Ausstellung bietet auch den Besuchern viele Details, die Spaß machen: etwa Erinnerungen an das Kleidungsstück mit dem klingenden Namen Muff, ein Schlauch aus Pelz. Bis 1939 die ersten Pelzhandschuhe erzeugt wurden, wärmte der Muff die Hände, im 16. Jahrhundert auch noch die der Männer, später vorwiegend die der Frauen, lernt man. Die Kürschnerzunft aus Wien hatte übrigens weltweit den Ruf, die schönsten Muffe herzustellen.
Ebenso kann man bei Teststationen an Mottenkugeln, Holzfeuer und Wintertee riechen. Oder es in kleinen Schneekugeln schneien lassen – etwa auf den Stephansdom, das Riesenrad oder einen Gugelhupf.
Die dunkle Seite der dunklen Jahreszeit
Doch auch die dunklen Seiten der dunklen Jahreszeit werden beleuchtet – die harten Winter waren für viele Menschen einst existenzbedrohend. 85 Prozent der Haushalte um 1850 in Wien waren ungeheizt, lernt man. Und: Kälte verstärkt die soziale Ungleichheit um ein Vielfaches.
Drückend war die Not im 19. Jahrhundert: Schilderungen erzählen von Armen, die scheu an die Wand gedrückt, frierend, wohl auch hungernd durch die Stadt gehen, um die Nacht in einem Asyl oder in einem verlassenen Schupfen zu verbringen. Auch der Hunger war existenzbedrohend: Die Versorgung Wiens mit Nahrungsmitteln aus dem Umland oder auf dem Wasserweg geriet in langen, bitterkalten Wintern ins Stocken oder kam zum Erliegen.
Die Ausstellung: „Winter in Wien – vom Verschwinden einer Jahreszeit“. Die Ausstellung zeigt, wie sich das winterliche Wien im Lauf der Jahrhunderte verändert hat.
Die Schwerpunkte: In vier Kapiteln – Kalte Stadt, Dunkle Jahreszeit, Eisiges Vergnügen und Weiße Pracht – werden die Freuden und Leiden des Winters in der Stadt beleuchtet.
Öffnungszeiten: 14. November 2024 bis 16. März 2025. Di., Mi. und Fr. von 9–18 Uhr, Do. von 9–21 Uhr, Sa., So. 10–18 Uhr.
Eintritt: 12 Euro; ermäßigt 10 Euro. Weitere Infos unter: www.wienmuseum.at
Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts änderten sich die politischen Bedingungen dahin gehend, dass man sich der gesellschaftlichen Verantwortung für die Armen bewusster wurde.
Der Klimawandel ist ein zentrales Thema
Und noch etwas änderte sich zu: das Klima. „Wir thematisieren mit dieser Ausstellung den Klimawandel. Die Winter waren von 200 Jahren anders als heute“, betont Matti Bunzl, Direktor des Wien Museums. So sei die Durchschnittstemperatur in Wien seit den 1970er-Jahren um knapp drei Grad Celsius gestiegen.
Nostalgie, sagt Kuratorin Noggler-Gürtler, sei wohl der „großartigste menschliche Verdrängungsmechanismus“. Aber: „Wir wollen unsere Besucher auch immer wieder in die Realität zurückholen.“