Großes Rätsel um Orca-Angriffe: Warum Wale Boote angreifen
Von Katharina Salzer
Tränen stehen ihnen in den Augen. Die Helfer in Australien können den Anblick der gestrandeten toten Grindwale kaum ertragen. Auch ein Walbaby ist erstickt.
Doch zum Trauern bleibt keine Zeit. Die Menschen sind gekommen, um so viele der 160 gestrandeten Tiere wie möglich zu retten. Sie halten die Köpfe der Tiere im flachen Meer über Wasser, damit sie atmen können, kämpfen um das Leben jedes einzelnen Meeressäugers. 130 von ihnen schaffen es zurück ins Meer. Geschehen vor wenigen Wochen.
Umweltverschmutzung lässt Wale stranden
Warum ist das passiert? Diese Frage können Wissenschafter noch nicht endgültig beantworten. Eine mögliche Ursache für Massenstrandungen von Walen ist die akustische Umweltverschmutzung, die die Wale die Orientierung verlieren lässt. Schiffe, Förderung von Rohstoffen, militärische Tests.
„Die Ozeane sind zu laut geworden“, sagt auch die Naturforscherin Leigh Calvez zum KURIER. Das beeinträchtige die Kommunikation der Tiere untereinander. „Es ist, als hätte man ständig Lärm im Wohnzimmer. Wir würden das nicht ertragen und die Wale auch nicht.“
Die Reise der Wale
Die US-Amerikanerin Calvez versucht die Wale zu verstehen. „Sie sind so anders als wir. Es ist fast so, als kämen sie von einem anderen Planeten.“ Die Meeresbewohner bestimmen ihr Leben, wie sie in ihrem vor Kurzem auf Deutsch erschienenen Buch „Die Reise der Wale“ beschreibt. Viel Zeit hat die Autorin auf den Ozeanen verbracht, um sie zu erforschen.
Eine Nebelwolke steigt über der Meeresoberfläche auf – zehn Meter in die Höhe. Eine Blauwalkuh atmet aus. Das größte Lebewesen, das jemals auf der Erde gelebt hat. „Während sie in der Tiefe der Ozeane nach Nahrung sucht, verlangsamt sich ihr Herz von der Größe eines Kleinwagens auf nur noch vier Schläge pro Minute“, schreibt Calvez in ihrem Buch.
Delfine begleiten das Schiff. Sie springen aus dem Wasser. „Ich habe erwachsene Männer beobachtet, die das Gewicht der Welt auf ihren Schultern tragen. Aber wenn sie Delfine sehen, verwandeln sie sich in kleine Kinder und freuen sich“, erzählt Calvez. Was ist es, das die Menschen so berührt? „Die Energie der Delfine ist ansteckend.“
Tiere im Meer beobachten
Ihre Lektion für uns könnte heißen: „Wie bringen wir mehr Freude in unser Leben?“ Calvez empfiehlt, wann immer es möglich ist, Wale zu beobachten. „Sie bringen ein ganz besonderes Gefühl in unser Leben. Sie sind hier, um den Planeten zu einem schöneren Ort zu machen. Wir schützen, was wir lieben.“
Und zu schützen gibt es genug. Der Klimawandel bedroht die Tiere: Die Lebensräume verändern sich so schnell, dass etwa die Arten beginnen, miteinander zu konkurrieren – und zu kämpfen, heißt es im Bericht „Whales in Hot Water“ der Tierschutzorganisation Whale and Dolphin Conservation. Er wurde anlässlich der UN-Klimakonferenz veröffentlicht. „Für die Orcas und die Buckelwale haben sich die Ozeane und die Nahrungskette verändert. Sie haben Probleme. Was sie früher gefressen haben, ist nicht mehr in ausreichender Menge vorhanden“, erklärt Calvez.
Leigh Calvez
„Die Reise der Wale. Mein Leben mit den geheimnisvollen Meeresgiganten“
Knesebeck, 256 Seiten. 20 Euro
Doch nicht alles ist schlecht. „Als ich anfing, mit den Walen auf Hawaii zu arbeiten, gab es nur etwa 3.000 im nördlichen Pazifik. Jetzt sind es 20.000 bis 30.000. Einige unserer Maßnahmen haben sich positiv ausgewirkt. Wir hören auf, sie zu jagen. Und sie beginnen, zurückzukehren“, sagt die Forscherin. Je besser die Menschen verstünden, wie sie mit dem Planeten verbunden sind, desto eher würden sie andere Entscheidungen treffen.
Der Angriff der Orcas auf Schiffe bei Gibraltar
Vieles verstehen wir aber noch nicht. Zum Beispiel, warum Orcas bei Gibraltar Boote angreifen. So auch am vergangenen Sonntag. Die Crew des Schiffes „Alborán Cognac“ hört ein dumpfes Schlagen an den Rumpf. Orcas rammen die Jacht. Die Segler müssen einen Notruf absetzen. Sie werden gerettet, doch das Schiff sinkt. Wissenschafter haben Theorien zu den Angriffen entwickelt.
Es könnte sein, dass die Tiere spielen oder auf ein negatives Ereignis reagieren. Calvez glaubt, dass sich die Orcas gestört fühlen könnten – und darauf aufmerksam machen. „Sie sind intelligent“, sagt die Forscherin. „Sie haben nicht unser Buchwissen, aber ich frage mich langsam, wohin uns das Buchwissen führt. Schauen Sie sich die Probleme an, die wir haben. Sind wir so intelligent?“