Chronik/Welt

Die 100-Jährigen auf Sardinien und ihr Traum von Unsterblichkeit

Perdasdefogu ist kein besonders auffallendes Dorf. Es sieht genauso aus, wie man sich ein sardisches Städtchen vorstellt: versteckt hinter einer kurvenreichen Straße zwischen Olivenhainen, idyllisch verwinkelt, mit hohen hellen Bauten aus weißem Stein. Und doch sticht Perdasdefogu heraus. Warum, lesen Besucher auf einem großen Schild, das am Ortsbeginn aufgestellt ist: Perdasdefogu ist der Ort des "Weltrekords für die Langlebigkeit von Familien".

In dieser unscheinbaren Gemeinde leben unverhältnismäßig viele über 100-Jährige, anscheinend die meisten der Welt im Vergleich zur Bevölkerungszahl. So steht es zumindest im Guinness-"Buch der Rekorde". Von den insgesamt 1.778 Einwohnern sind sieben gebürtige und ansässige Bürger 100 Jahre alt oder älter; der älteste Einwohner Perdasdefogus ist 104 Jahre alt, berichteten italienische Medien. Zumindest Stand gestern. Die Hoffnung ist  groß, dass dem immer noch so ist.

Das "Lebenselixier"

Mit dem Weltrekord geben sich die rüstigen Oldies aber nicht zufrieden: Sie wissen die Auszeichnung zu vermarkten, um Perdasdefogu bekannt zu machen. Denn trotz allem ist das Dorf wie viele italienische Städte vom Aussterben bedroht: Junge Menschen ziehen in die Großstadt, die Geburtenrate ist niedrig, Arbeitsplätze gibt es kaum.

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Ein Paradies der Unsterblichkeit soll es werden: Sterblichkeitsfeindliche Ausländer, die unbedingt die Geheimnisse des ständigen Bleibens erfahren wollen, sollen hierher kommen und einen Tourismusboom anheizen. Angeboten werden Touren und Workshops, wo die Besucher in die Küche der Dorfbewohner eingeführt werden, es wird gemeinsam Brot gebacken und Schafskäse zubereitet. In der Tourbeschreibung wird auch ein Treffen mit 100-Jährigen "in ihrem natürlichen Lebensraum" versprochen: "meet some centenarians in their usual environment and spend time with them". Die Touristen sollen Kultur, Musik, sprich das traditionelle Leben kennenlernen.

Die New York Times hat Perdasdefogu besucht und die Einwohner nach ihrem "Lebenselixier" gefragt: Abwechslung sei das Gewürz oder zumindest das Konservierungsmittel des Lebens, sagen die Einen. Sich nicht über Dinge aufzuregen, die Anderen. Und der Dritte betont das Beschäftigt Sein: "Wenn du keine feste Arbeit hast, welches Leben lebst du dann?"

Wettstreit

Vielleicht ist es aber auch das Wetteifern, das am Leben hält: Denn das benachbarte Dorf Seulo beansprucht den Titel der langlebigsten Stadt ebenfalls für sich.

Blaue Zonen sind jene Regionen der Welt in denen Menschen viel länger als der Durchschnitt leben. Neben der sardischen Gemeinde gehören dazu die Inseln Okinawa in Japan und Ikaria in Griechenland, die Nicoya-Halbinsel in Costa Rica und die Gemeinde Loma Linda in Kalifornien.

Tatsächlich ist das Geheimnis des Lebens gar kein Geheimnis: Im Durchschnitt ernährt sich die Bevölkerung überwiegend pflanzlich, verbringt viel Zeit mit Bewegung im Freien, schläft im Durchschnitt acht bis neun Stunden und lebt in einer festen Gemeinschaft.

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Die Stadt hatte ein ähnliches Willkommensschild – "Die Stadt der Hunterdjährigen" – und schmückte auch ihre Hangstraße mit den Schwarz-Weiß-Fotos von Einwohnern, die den 100-Jahr-Meilenstein erreicht hatten.

Einheimische in Seulo spotteten über den Anspruch von Perdasdefogu auf den geriatrischen Thron: "So einfach ist das nicht“, sagt die 89-jährige Maria Murgia zur NYT, "sie haben ihre Berechnungen falsch gemacht."

Vielleicht kommen ja bald ein paar Genforscher nach Sardinien, die das Geheimnis lüften und den Streit ein für alle Mal lösen. "Hoffentlich investieren sie auch in hochmoderne Einrichtungen, verbessern das Mobilnetz und den Internetzugang", beten die Einwohner. Damit Perdasdefogu nicht ausstirbt.