Boeing: Wie ein (zu) großes Triebwerk in die Katastrophe führte
Rund eine Woche nach dem Absturz einer Boeing 737-MAX8 in Äthiopien wird die Möglichkeit immer deutlicher, dass ein katastrophaler Designfehler hinter diesem Unfall und jenem in Indonesien im Oktober gestanden sein könnte. Für Boeing geht es mittlerweile um Klagen und Folgekosten in mehrfacher Milliardenhöhe, auch der US-Luftfahrtbehörde FAA droht Ungemach. Der Bericht eines erfahreren Luftfahrt-Journalisten der Seattle Times erhärten den Verdacht, dass die Kontrollmechanismen versagt haben.
Der Beginn der katastrophalen Entwicklung führt bis in das Jahr 2010 zurück. Damals wollte Boeing ein neues Mittelstreckenflugzeug konstruieren, Airbus hingegen eine vierte Generation seiner beliebten A-320-Flotte designen. Eine Weiterentwicklung dauert meist so etwa fünf Jahre, eine Neukonstruktion zehn (und mehr) Jahre.
Zu groß für Boeing-Flügel
Das Problem war nun, dass Airbus das neue spritsparende CFM-Triebwerk in seinen A 320 einbauen wollte. Boeing musste mit einigen Monaten Verspätung doch nachziehen, das Triebwerk hat aber unter dem niedriger gelegten Boeing-Flügel zu wenig Platz. Die Konstrukteure kamen deshalb auf die Idee, das Triebwerk etwas weiter vorne an den Flügel zu setzen, weshalb sie das Fahrwerk vergrößerten und mit einem gelösten Problem gleich zwei neue schufen.
Erstens wurde der Schwerpunkt der Maschine dadurch nach vorne geneigt. Zweitens aber war das Triebwerk bereits so groß, dass es aerodynamisch wie ein kleiner Zusatzflügel wirkte. In der entscheidenden Startphase gab es dadurch erhöhten Auftrieb, also würde die Nase nach oben gehen. Damit wurde das Flugzeug schwer steuerbar, die so genannte Trimmung war dadurch zu schwierig.
Damit wurde das mittlerweile berühmte MCAS-System geboren. Mit einer zusätzlichen Software wurde das Heckruder so eingestellt, dass das Flugzeug stabil bleibt, also die Nase werde zu hoch noch zu niedrig ist. Laut dem US-Zeitungsbericht stellten die Entwickler fest, dass ein Ausfall dieses Systems "katastrophale Folgen" hätte. Diese Einstufung wurde aber im Prüfverfahren der Luftfahrtbehörde heruntergestuft, damit keine Zusatzentwicklungen notwendig waren. Boeing war zu diesem Zeitpunkt der Entwicklungsabteilung des Konkurrenten Airbus offenbar Monate hinterher. Nicht nur hier könnte die FAA weggeschaut haben, um Boeing ein Aufholen zu ermöglichen.
Es schaut derzeit so aus, dass Boeing auch noch weiter in die Trickkiste gegriffen hat. Denn MCAS entscheidet nämlich über einen Eingriff lediglich aufgrund der Daten eines einzigen Sensors (der den "Angle of Attack", also die genaue Fluglage, misst).
Normal sind in der Luftfahrt immer zwei unabhängige Sensoren, ein System ist dabei immer das Sicherheitsnetz. In diesem Fall wurde diese goldene Regel der Luftfahrt offenbar gebrochen, ein entsprechendes zweites (sehr teures) Sicherheitssystem bauten offenbar nur die US-Fluglinien nach dem Lion-Air-Crash ein.
Den Piloten wurde zunächst offenbar die Existenz von MCAS vorenthalten, damit keine teuren Einschulung notwendig sind. Laut NYT reichte lediglich ein Training auf einem veralteten Simulator und ein zweistündiger Kurs auf einem iPad, damit die bisherigen 737-Piloten auch die neue MAX8 fliegen durften. Die Airlines ersparten sich so in Summe wohl Millionen an Ausbildungkosten.
Auf Sturzflug getrimmt
Die Untersuchungen an dem in Indonesien abgestürzten Jet der Lion Air und jenem der Ethopian Airlines brachten zwei Übereinstimmungen: Die Flugkurve vor dem Absturz war sehr ähnlich bis sogar zeitweise ident. Und außerdem war das Heckruder (das von MCAS gesteuert wird) am Ende auf Sturzflug eingestellt, wie der Fund enstprechender Schrauben in beiden Wracks ergab.
Bleibt noch die Frage zu klären, ob der Pilot etwas hätte tun können. "Wenn es ein technisches Problem gibt und der Pilot mit einem richtigen Verhalten den Absturz verhindern kann, dann ist mitunter dennoch der Pilot haftbar", sagt der österreichische Luftfahrtexpert Helfried Aubauer. Allerdings hatte der Ethopian-Air-Pilot eine entsprechende Schulung durchlaufen nach dem Lion-Air-Totalausfall. Hinzukommt, dass einige der Systeme auch wenn sie deaktiviert werden vom Piloten nach einigen Sekunden automatisch wieder dazugeschaltet werden. Viele Experten sehen dies als problematische Entwicklung in der Luftfahrt an.
Für Boeing geht es nun um viel, es drohen Klagen in Milliardenhöhe. Dass bereits nach dem Indonesien-Absturz an einer neuen Software für MCAS gearbeitet wurde, belastet das Unternehmen rechtlich. Wenn es offenbar ein technisches Problem, gab, wieso ließ man dann die Flotte dennoch weiter in der Luft? Und das obwohl Piloten danach mehrfach ähnliche Probleme meldeten.
Bei Boeing ist die Kassa jedenfalls für die kommenden Herausforderungen gut gefüllt. Im Vorjahr machte der Konzern zehn Milliarden Euro Gewinn, sieben Milliarden Euro betragen die Rücklagen. Schafft der Konzern es allerdings nicht, seine 737-MAX8 rasch - also noch heuer - wieder in die Luft zu bekommen, könnte es eng werden.
Laut Medienberichten stehen außerdem Aufträge für MAX-Flieger in der Höhe von mehr als 50 Milliarden Euro auf dem Prüfstand. Lion Air ist etwa einer der größten Kunden und ließ bereits durchsickern, dass man überlegt, nun auf Airbus umzurüsten. Ob das ein Bluff für Neuverhandlungen ist oder wirklich passiert, ist momentan noch nicht absehbar.
Das aktuelle Problem ist jedenfalls kein Vergleich mit jenem der brennenden Batterien des Dreamliners (Boeing 787), das nach drei Monaten mit einer Eisenbox relativ einfach gelöst werden konnte. Ob ein Software-Update es tatsächlich schafft, das schwere Designproblem mit den übergroßen Triebwerken zu lösen, steht vorerst noch in den Sternen. Auch das US-Verkehrsministerium hat bereits eine Prüfung eingeleitet, ob es Versäumnisse bei der FAA oder bei Boeing gibt, speziell im Visier ist die Zulassung des MCAS-Systems.