Chronik/Österreich

Studie über Nutztier-Risse: Schafe am häufigsten Opfer vom Wolf

Europaweit kehren die Wölfe in viele früher von ihnen besiedelte Regionen zurück. Das führt mancherorts zu häufigeren Rissen von Nutztieren wie Schafen, Ziegen, Rindern und Pferden, berichtet ein Forscherteam mit österreichischer Beteiligung. In einigen Regionen nimmt die Zahl der Vorfälle wieder ab oder stagniert, weil Nutztierhalter wohl etwa effektiven Herdenschutz etablierten oder die Beweidung aufgeben. Die Studie ist im Fachjournal "Biological Conservation" erschienen.

Ein internationales Team um Daniel Wegmann von der Universität Fribourg in der Schweiz hat den ersten europaweiten Datensatz zu Nutztierrissen durch Wölfe erstellt. Die Forscher fragten bei den Behörden von 21 europäischen Ländern - inklusive Österreich - nach sämtlichen Wolfs-Vorfällen mit Nutztieren von 2018 bis 2020 an und analysierten die erhaltenen Daten. Nicht alle Regionen konnten oder wollten Daten zur Verfügung stellen, erklärten sie der APA. Insgesamt werteten die Wissenschafter 43.500 (2018: 13.900, 2019: 15.100, 2020: 14.500) mutmaßlich auf Wölfe zurückzuführende Schadensfälle aus. Davon klassifizierten sie 39.200 als "bestätigte" oder "anzunehmend korrekte" Wolfs-Nutztier-Vorfälle. In jenen Fällen wurden 99.000 Nutztiere getötet, verletzt oder waren abgängig, wie aus diesen Regionen berichtet wurde.

Die Wissenschafter, zu denen auch der österreichische Naturschutzforscher Raffael Hickisch (EuroLargeCarnivores) sowie Eva Maria Schöll und Klaus Hackländer vom Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft der Universität für Bodenkultur Wien gehören, untersuchten die Vorfälle teils bis auf Gemeindeebene, um "Hotspots" zu erkennen, in denen besonders viele Risse stattfinden, und zum Beispiel dahinterzukommen, unter welchen Begleitumständen Nutztiere eher gefährdet sind. Insgesamt wurden in den drei Jahren in 470 Kleinregionen (EU-NUTS3 Regionen) von Wölfen verursachte Schäden gemeldet.

Schafe am gefährdetsten

Je nach Region ergänzten unterschiedliche Nutztierarten am häufigsten den Speiseplan der Wölfe: In Finnland waren dies etwa Rentiere, in Griechenland Rinder (obwohl es dort viel mehr Schafe gibt) und im spanischen Asturien Pferde. Sonst überall sind Schafe eindeutig am gefährdetsten, so auch in Österreich. "Nutztiere stellen aber nur einen Bruchteil der Nahrung von Wölfen dar", sagte Hickisch: "Eine Studie aus dem Vorjahr zeigt zum Beispiel, dass in Polen Nutztiere weniger als drei Prozent der konsumierten Biomasse ausmachen."

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"Die Länder mit den meisten an uns gemeldeten Wolfs-Vorfällen in den drei Jahren sind Frankreich (9.840), Griechenland (6.870) und Spanien (6.856)", so die Forscher in der Fachpublikation: "Die niedrigsten Zahlen gibt es in Belgien (79), Lettland (91) und Österreich (115)." Am häufigsten erwischten die Wölfe Schafe, hier gab es 21.300 Vorfälle. Dabei wurden meist mehrere Tiere getötet, verletzt oder galten als vermisst, in Summe waren es 71.000 betroffene Schafe. 7.670 Mal besuchten die Wölfe während der drei Jahre Rinderherden, hier kamen 8.400 Tiere zu Schaden. Es gab 4.300 Fälle mit 11.300 Ziegen. Bei Pferden waren es 3.100 Fälle, bei Rentierzuchten 2.000, mit Hunden 500, bei Rehen, Rot- und Damhirschen aus Wildhaltung 200, bei Eseln 170, bei Schweinen zehn sowie bei Lamas und Alpakas acht.

In Österreich gab es in den drei Jahren 97 Vorfälle mit Schafen und Mufflons, dabei wurden 437 Tiere verletzt, getötet oder galten als vermisst. Sieben Vorfälle mit insgesamt 27 Ziegen wurden gemeldet, sechs mit jeweils einem Rind, vier mit sechs Rehen und Hirschen, und ein Vorfall mit einem Pferd. 58 Wolf-Nutztier-Vorfälle geschahen in Tirol, 22 in Niederösterreich, 14 in Salzburg, acht in der Steiermark, fünf in Oberösterreich sowie je vier in Kärnten und Vorarlberg.

 In Kärnten und Tirol spielte der Wolf als Gefahr auch im Wahlkampf eine wichtige Rolle.

Schafe, Rinder und Ziegen wurden vor allem im Sommer (zwischen Juli und Oktober) von Wölfen gerissen, Pferde im späten Frühjahr (April bis Juli) und Rentiere im Herbst (September bis Dezember). Dies hängt wohl mit der Art der Bewirtschaftung zusammen, so die Forscher: Schafe, Ziegen, Rinder und Pferde sind am stärksten gefährdet, wenn sie sich auf Weiden und entlegenen Almen befinden. In Südeuropa ist dies früher im Jahr der Fall als im Norden. Bei den großen Tieren reißen die Wölfe am ehesten die Jungtiere im ersten Jahr, deshalb spielt auch die Wurfzeit eine Rolle. Rentiere aus Wildhaltung werden wiederum zu Winterbeginn für Wildbret geschossen, danach gibt es einfach weniger, die Wölfe erwischen könnten.

Auch der Landschaftstyp spielt eine Rolle bei der Zahl der Nutztierrisse. In extensiv (mit geringen menschlichen Eingriffen) bewirtschaftetem Grünland und Regionen mit hohem Laubwaldanteil gab es nämlich signifikant mehr Wolfs-Vorfälle als anderswo. "In solch extensiv genutzten Gebieten ist der Viehbestand schwerer zu schützen", so die Forscher in einer Aussendung der Universität Fribourg.

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Insgesamt gab es in Europa in den drei Beobachtungsjahren einen Anstieg von 4,2 Prozent an Vorfällen, berichten die Forscher. Die Analyse der Nutztierriss-Daten aus Deutschland zeige aber, dass die Anzahl der Vorfälle dort mit der Zeit wieder gesunken ist. "Wenn die Wolfspopulationen größer werden, brauchen sie mehr Fläche und kommen dadurch auch in Gegenden, wo lange keine Notwendigkeit zum Herdenschutz bestand", erklärte Hickisch. Dadurch können sie dort womöglich mehr Nutztiere reißen als in "wolfsgewohnten" Regionen.

Herdenschutzmaßnahmen lassen Riss-Zahlen sinken

"Viele Nutztierhalter setzen Maßnahmen, und schützen ihre Herden zum Beispiel mit Elektrozäunen, Herdenschutzhunden oder Behirtung", sagte er. Dies sorge eventuell für einen guten Teil des Rückgangs der Risse. Der Rückgang der Risse könnte alternativ auch damit erklärt werden, dass die Halter ihre Tiere nicht mehr auf gefährdete Weiden lassen. Weil aber kaum Daten vorhanden sind, wo welche Herdenschutzmaßnahmen umgesetzt werden, konnten die Forscher in dieser Studie die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen nicht genau bestimmen. "Man kann jedenfalls nicht einfach sagen: Überall wo mehr Wölfe sind, gibt es mehr Schäden, sondern es ist ein vielfältigeres Bild", meint Hickisch.

In fast allen Ländern Europas werden Maßnahmen gegen Nutztierrisse wie elektrische Zäune, Herdenschutzhunde und permanente Anwesenheit von Hirten finanziell unterstützt, schrieben die Forscher in der Fachpublikation. Hierzulande gilt dies für Elektrozaun und Herdenschutzhunde. "Seit dem vorigen Jahr würde die Europäische Kommission sogar die Förderung von Gehältern für Wanderhirten ermöglichen", erklärte Hickisch: "In Österreich müsste jedoch das Landwirtschaftsministerium eine Förderung von Hirtengehältern erst noch ermöglichen." Er plädierte dafür, sich Frankreich zum Vorbild zu nehmen, wo das Hirtentum eine starke Tradition hat, und es auch hierzulande zu forcieren.

In einem Statement gegenüber dem deutschen "Science Media Center" (SMC) zu in Bayern erlassenen Erleichterungen bei der Bejagung des Wolfes erklärte Klaus Hackländer, dass für die Koexistenz "ein funktionierender Herdenschutz und eine schnelle und unbürokratische Entnahme von Wölfen, die ein unerwünschtes Verhalten zeigen", die Voraussetzung sind. "Beim Herdenschutz brauchen wir mehr finanzielle Unterstützung der Nutztierhalter und umfangreiche Beratung." Angesichts der zunehmenden Ausbreitung der großen Beutegreifer seien "Konflikte mit dem Wolf sehr wahrscheinlich, insbesondere in Gebieten, die für Wölfe als ungeeignet angesehen werden, also in Siedlungen und Städten", so Hackländer.