"Stille Nacht": Mit Stars und Skandalen zum Welthit
Zwei Gulden will Gregor für ein Paar selbst gemachte Socken oder Handschuhe haben. Gemeinsam mit Heidi, Caroline und Diana stimmt er am Kitzbühler Christkindlmarkt immer wieder weihnachtliche Lieder an. Das und sein frecher Schmäh kommen bei den Kunden gut an, behauptet der Tiroler.
In historisch anmutenden Gewändern ist die Truppe junger Unterländer heuer auf den Tiroler Adventmärkten aufgetreten. Sie sollten einen Eindruck vermitteln, wie es damals gewesen sein könnte, als Tiroler Wanderhändler Anfang des 19. Jahrhunderts auszogen und dabei auch „Stille Nacht“ im Gepäck hatten, das vor 200 Jahren uraufgeführt wurde.
„Niemand verlässt freiwillig seine Heimat“, sagt Hannes Pramstraller, Leiter einer Sonderausstellung in Schloss Fügen im Zillertal. Hier wird nacherzählt, wie Familien aus dem Tal, getrieben von bitterer Armut, mit ihren Waren durch Europa zogen. Und dabei den Absatz mit Gesang ankurbelten.
Die Erfolge der Tiroler als Entertainer sind der Grundstein dafür, dass „Stille Nacht“ zum Welthit wurde. Heute wie damals gilt: Ein kleiner Skandal kann im Showbusiness nicht schaden. 1822 auf Schloss Fügen bereits vor Kaiser Franz I. und Zar Alexander aufgetreten und somit entdeckt, gingen die Geschwister Rainer als Sänger auf Tourneen, die sie 1827 an den englischen Hof von George IV. führten.
Dass sich die Sängerin des Quintetts, Maria Rainer, bei dem Auftritt zu einem Kuss für den König hinreißen ließ, wurden von der britischen Klatschpresse zum Skandal hochgespielt. Schriftliche Belege, dass die Rainers auch „Stille Nacht“ zum Besten gaben, sind nicht überliefert. „Gespielt wurde, was gefällt“, ist aber der Tiroler Martin Reiter, der seit 30 Jahren zu dem Lied forscht, überzeugt.
Fest steht: Die Zillertaler Sängerfamilie Strasser war es, die das Lied bis nach Leipzig brachte. 1832 traten die Tiroler laut einer Zeitungsmeldung dort mit „Stille Nacht“ auf. Aus demselben Jahr datiert ein Druck mit „Tiroler Liedern“. Das beinhaltet die bis heute älteste bekannte Aufzeichnung des Weihnachtsliedes, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist.
Eine Castingband aus dem Zillertal brachte „Stille Nacht“ schließlich in die USA. Von dort war 1839 ein Amerikaner nach Tirol angereist. Er stellte sich eine Sängerfamilie zusammen. Die wurde nach den „Ur-Rainern“, deren Erfolg sich jenseits des Atlantiks herumgesprochen hatte, als „Rainer Family“ benannt.
Am Weihnachtstag gab die Truppe in New York ein Konzert. Reiter ist überzeugt, dass sie dort „Stille Nacht“ gesungen haben. Auch die „Rainer Family“ steigerte mit einem Skandal ungewollt ihre Bekanntheit: Sängerin Helene Rainer brannte mit dem US-Manager durch. Als ihr Ersatz wurde ein irischer Jüngling in Frauenkleider gesteckt. Ein Plakat belegt, dass bald der Bartwuchs bei dem jungen Mann einsetzte. Er wurde so zu einer frühen Version von Conchita Wurst.
Wenn auch Tiroler das Lied berühmt machten, zum ersten Mal aufgeführt wurde es in Oberndorf bei Salzburg zu Weihnachten 1818. Aber nicht in der von Fotos berühmten Stille-Nacht-Kapelle, die erst 1937 eingeweiht wurde, sondern in der zuvor an dieser Stelle stehenden Pfarrkirche St. Nikolaus.
Der Textdichter Joseph Mohr begleitete den Komponisten Franz Xaver Gruber auf der Gitarre. Auf Papier brachte Gruber das Lied erst 1854 nach einer Anfrage aus Berlin. Auch um die Gitarrenbegleitung ranken sich Mythen. Denn die Gitarre war zu dieser Zeit kein Kircheninstrument. So entstand die Geschichte, dass eine Maus in ihrem verzweifelten Hunger den Blasbalg der Kirchenorgel angenagt haben soll und so die Orgel keinen Ton mehr von sich gab.
Diese Geschichte tauchte erstmals 1909 auf. Es dürfte stimmen, dass die Orgel reparaturbedürftig war, sie soll aber bespielbar gewesen sein. Der Zillertaler Orgelbauer Carl Mauracher kam 1817 nach Oberndorf, um sich die Orgel anzusehen (und dürfte das Lied nach Tirol gebracht haben).
Die letzten Zeugen der Uraufführung finden sich heute im Volkskundehaus in Ried/Innkreis in OÖ. Dort befindet sich die „Krippe aller Krippen“, wie Museumsleiterin Sieglinde Frohmann stolz behauptet. 94 wertvolle Figuren in orientalischen und alpenländischen Trachten tummeln sich rund um die Heilige Familie. Nachdem die St. Nikolaus-Kirche in Oberndorf abgerissen worden war, verschwand die Krippe auf einem Dachboden und kam 1926 aus Salzburg ins Innviertel.
Im inoffiziellen Vaterschaftswettstreit um das „Ewige Lied“ spielt in OÖ vor allem auch der Innviertler Ort Hochburg-Ach mit. Dort wurde 1787 der Komponist F. X. Gruber geboren. Wo einst sein Geburtshaus stand, errichteten Ehrenamtliche ein Gedächtnishaus. Nach dem Motto „Ein Lied geht um die Welt“ startet dort ein Friedensweg mit fünf Stationen. Sie symbolisieren die Kontinente, jedem ist eine Stille-Nacht-Strophe gewidmet.
Diese Stille-Nacht-Orte wollen Tourismusattraktionen werden
Die Landesausstellung von Salzburg, Tirol und OÖ zu „200 Jahre Stille Nacht“ läuft seit September und noch bis 3. Februar, dem Tag nach Maria Lichtmess. Besonders groß wird der Andrang in den Museen rund um die Feiertage sein. Ausstellungen gibt es im Salzburg Museum, in Oberndorf, Hallein, Hochburg-Ach, Arnsdorf, Mariapfarr, Hintersee, Wagrain und Fügen in Tirol. Die Kernöffnungszeiten sind von Dienstag bis Sonntag von 14 bis 17 Uhr, meist ist aber länger geöffnet. Ein Kombiticket für alle neun Orte kostet 18 Euro.
Mit den Ausstellungen wollen die drei Länder den Tourismus ankurbeln. „Unser gemeinsames Ziel ist es, eine begehrte internationale Kulturroute zu entwickeln. Das Jubiläumsjahr soll der Startschuss für eine langfristig angelegte Entwicklung sein“, sagt der Salzburger-Land-Tourismuschef Leo Bauernberger.
In OÖ findet sich neben Franz Xaver Grubers Geburtsort Hochburg-Ach und dem Volkskundehaus Ried/Innkreis samt Oberndorfer Krippe mit der Stadt Steyr seit Kurzem ein dritter Stille-Nacht-Ort: 2016 wurde entdeckt, dass die erste Druckausgabe des Liedes um 1830 in Steyr produziert worden war. Eine Replik des ersten Drucks ist nun im „1. Österreichischen Weihnachtsmuseum“ (täglich bis 6. Jänner geöffnet) zu sehen.