Chronik/Österreich

Schüsse in München: Vater erlebte 18-jährigen Schützen als psychisch auffällig

Nach einem mutmaßlich terroristisch motivierten Schusswechsel in der Nähe des israelischen Generalkonsulats in München, bei dem am Donnerstag der Angreifer von der Exekutive erschossen wurde, sind weitere Details über den zuletzt im Flachgau wohnhaften 18-Jährigen bekannt geworden.

Bei dem Mann handelte es sich um keinen "klassischen Islamisten". Er besuchte bis Anfang 2024 eine HTL für Elektrotechnik in Salzburg, galt als intelligent und war ein guter Schüler.

Der 18-Jährige erwarb auch 50 Schuss Munition

Die mutmaßlich rund 100 Jahre alte Tatwaffe hatte der 18-Jährige am Mittwoch - am Tag vor der Tat - bei einem privaten Waffensammler im Salzburger Flachgau gekauft. Wie Freitagmittag bei einem Hintergrundgespräch im Innenministerium erläutert wurde, hatte der Verkäufer die Kategorie-C-Waffe - einen Karabiner älterer Bauart, der repetiert werden musste - rund 14 Tage vor der Tat auf einer Online-Plattform angeboten, auf der Schusswaffen gehandelt werden. Der 18-Jährige meldete sich bei dem Sammler, für 350 Euro und weitere 50 Euro für ein aufgepflanztes Bajonett wechselte die Waffe den Besitzer, teilte Franz Ruf, der Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, mit. Der 18-Jährige erwarb auch 50 Schuss Munition.

"Es macht wütend, wenn man sich die Frage stellen muss, was noch alles passieren oder verhindert werden muss, damit an den Polizeibehörden das Handwerkzeug gibt, um auf Augenhöhe gegen Islamisten und Terroristen vorgehen zu können", reagierte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) vor Medienschaffenden bei einem kurzfristig einberufenen Pressetermin im Innenministerium auf die jüngsten Ereignisse. Es brauche "zeitgemäße Ermittlungsmethoden, die "Bremser und Verhinderer" müssten sich vorwerfen lassen, "dass sie Terroristen schützen."

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Karner fordert Umsetzung

Konkret verlangte Karner die rasche Umsetzung von vier Punkten, "damit die Exekutive und die Justiz konsequent vorgehen kann." Zum wiederholten Mal forderte der Innenminister die Überwachung von Messenger-Diensten. Weiters müssten die Deradikalisierungsprogramme ausgebaut und auf die Haftanstalten ausgeweitet werden, die teilweise als "Brutstätten" des Islamismus gelten. "Wir müssen stärker in die Gefängnisse reingehen", hielt Karner fest, der zugleich die Präventionsarbeit in den Schulen ausbauen will. Es werde mehr Präventionsbeamte geben, kündigte er an.

Darüber hinaus forderte der Minister die Wiedereinführung der bedingt obligatorischen U-Haft für schwere bzw. terroristische Straftaten für Jugendliche und eine Verschärfung des Versammlungsgesetzes, "um stärker gegen den politischen Islam vorgehen zu können." Er werde "weiter hart dafür kämpfen", sicherte Karner zu.

Während der Corona-Pandemie hatte sich der ältere von zwei Söhnen einer aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Familie - die Eltern waren im Zuge der Kriegswirren aus ihrer Heimat nach Österreich gezogen und gelten als bestens integriert - zurückgezogen. Er wurde eher zum Einzelgänger, erfuhr in der Schule Sticheleien und Hänseleien. Der Vater erlebte seinen älteren Sohn als psychisch auffällig und soll deshalb versucht haben, mit einer Psychologin in Kontakt zu kommen.

Der 18-Jährige hatte bis 2028 Waffenverbot 

Im Februar 2024 brach der Bursch die Schule ab, machte ein Praktikum und begann am vergangenen Montag eine Lehre in einem Maschinenbaubetrieb. Bis zum Mittwoch erschien er stets pünktlich zu Arbeitsbeginn. Als er am Donnerstag ausblieb, meldete sich der Arbeitgeber bei den Eltern des 18-Jährigen. Da dieser weder zu Hause noch telefonisch erreichbar war und auch das Fahrzeug der Familie fehlte, erstatteten die in einem Einfamilienhaus in Neumarkt am Wallersee lebenden Eltern Abgängigkeitsanzeige bei der örtlichen Polizeiinspektion.

Sie ahnten nicht, dass sich der 18-Jährige währenddessen mit der illegal erworbenen Langwaffe auf dem Weg nach München befand. Der 18-Jährige war von der Bezirksverwaltungsbehörde Salzburg-Land mit einem bis 2028 aufrechten Waffenverbot belegt worden. Die Staatsanwaltschaft Salzburg hatte im Vorjahr wegen terroristischer Vereinigung (§278b StGB) gegen ihn ermittelt. Ihm war nach einer gefährlichen Drohung gegen Mitschüler und einer damit einhergehenden Körperverletzung das Handy abgenommen worden. Aus Sicht der Polizei "bestand der Verdacht, dass er sich religiös radikalisiert hatte, online einschlägig aktiv war und sich für Sprengstoff sowie Waffen interessierte", wie die Salzburger Landespolizeidirektion dazu in einer Pressemitteilung zuletzt feststellte.

"Der Beschuldigte war verdächtig, Mitschüler gefährlich bedroht zu haben"

Dieser Verdacht erhärtete sich nicht. Das Salzburger Landesamt Staatsschutz und Extremismusbekämpfung (LSE) übermittelte der Staatsanwaltschaft insgesamt fünf Berichte zum 18-Jährigen. Die Salzburger Anklagebehörde stellte am 23. April 2023 die Ermittlungen zu den Terrorvorwürfen ein.

"Die Sachverhalte, wegen derer ermittelt wurde, datierten aus dem Zeitraum 2021 bis 2023. Der Beschuldigte war verdächtig, Mitschüler gefährlich bedroht zu haben, wobei es zu einer Körperverletzung gekommen sei, und sich für Anleitungen zum Bau von Bomben interessiert zu haben. Weiters soll er sich an einer terroristischen Vereinigung beteiligt haben, in dem er in einem online Computerspiel islamistische Gewaltszenen darstellte und davon Videos anfertigte", erläuterte dazu die Staatsanwaltschaft Salzburg Freitagmittag. Aufgrund der Verdachtslage sei am Wohnort des Burschen eine gerichtlich bewilligte Durchsuchung durchgeführt worden. Dabei habe man im Vorjahr mehrere Datenträger, darunter ein Mobiltelefon und einen Stand-PC, sichergestellt und ausgewertet. Auf dem Mobiltelefon seien keine relevanten Daten gefunden worden.

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Keine Hinweise, dass sich der Beschuldigte in radikal-islamischen Kreisen bewegt hat

"Auf dem Stand-PC befanden sich drei Videos, die der damals 14-jährige Beschuldigte im Jahr 2021 selbst aufgenommen hatte. Sie zeigten Szenen aus einem Computerspiel mit islamistischen Inhalten. Nur auf einem dieser Videos waren Symbole der terroristischen Vereinigung Al-Nusra-Front For the People of the Levant, auch Hay'at Tahir al-Sham (HTS) genannt, zu sehen", gab die Anklagebehörde in einer Pressemitteilung bekannt. Dass der Jugendliche die angefertigten Videos an andere Personen übermittelt oder sonst zu Propagandazwecken gebraucht hätte, habe ihm im Ermittlungsverfahren nicht nachgewiesen werden können: "Allein durch das Spielen eines Computerspiels bzw. das Nachstellen von islamistischen Gewaltszenen war im konkret vorliegenden Fall kein Tatvorsatz nachweisbar und deshalb der Tatbestand der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB nicht erfüllt."

Darüber hinaus hätten sich keine Hinweise ergeben, dass sich der Beschuldigte in radikal-islamischen Kreisen bewegt oder besonders religiös gelebt hätte. Laut Staatsanwaltschaft handelte es sich "um einen Jugendlichen mit verhältnismäßig wenig sozialen Kontakten". Weitere Gegenstände oder Daten mit einem Terror-Bezug konnten im Vorjahr ebenso wenig gefunden werden wie Pläne, Anleitungen oder Sprengstoff für den Bau von Bomben.

Am Wohnsitz wurde bis weit in die Nachtstunden hinein Hausdurchsuchung durchgeführt

Die bayerische Polizei bestätigte am Freitag, keine Informationen zu dem getöteten Schützen gehabt zu haben. Eine Abfrage der Datenbanken zu dem 18 Jahre alten Österreicher sei negativ verlaufen, sagte ein Sprecher des bayerischen Landeskriminalamts (LKA). "Wir haben keine Unterlagen zu ihm gehabt." Deutsche Sicherheitskreise gingen ebenfalls davon aus, dass der Verdächtige einen Bezug zur islamistischen Miliz HTS hatte. Der bayerische Verfassungsschutz schreibt, dass HTS 2017 aus dem Zusammenschluss eines früheren Al-Kaida-Ablegers und einiger kleinerer militanter syrischer Gruppen hervorgegangen sei. Anders als al-Qaida, die weiter Anschläge im Westen plane, konzentriere sich HTS auf Syrien und wolle den dortigen Machthaber Bashar al-Assad stürzen.

Am Wohnsitz des 18-Jährigen in Neumarkt am Wallersee war nach dem vereitelten mutmaßlichen Terroranschlag bis weit in die Nachtstunden hinein eine Hausdurchsuchung durchgeführt worden. Dabei wurden weder Waffen noch sonstige auffällige Gegenstände - etwa Insignien von Terror-Organisationen oder Propagandamaterial gefunden, gab der Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, bekannt. Es seien jedoch zahlreiche Gegenstände - elektronische Geräte, USB-Sticks, weitere Datenträger - sichergestellt worden, die nun ausgewertet werden. Die Einrichtung im Zimmer des mit einem um zwei Jahre jüngeren Bruder bei seinen Eltern lebenden Burschen soll keinerlei Hinweise auf einen allfälligen Bezug zu islamistischem Gedankengut aufgewiesen haben. Auch äußerlich wirkte der von der Polizei erschossene 18-Jährige nicht wie ein Islamist. Er trug zum Beispiel keinen Bart.

Schüsse auf mehrere Gebäude

"Die Straßen sind frei, aber einzelne Gebäude oder Bereiche noch abgesperrt", sagte ein Münchner Polizeisprecher. Es fänden noch Spurensicherungsmaßnahmen statt, es handle sich nach wie vor um einen Tatort. Das bayerische Landeskriminalamt hat eine Sonderkommission "Karolinenplatz" eingerichtet, benannt nach dem Ort des Geschehens. Die Behörde werde die Ermittlungen im Laufe des Tages von der Münchner Kriminalpolizei übernehmen, sagte ein LKA-Sprecher am Freitag laut dpa. Die Federführung liegt bei der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bei der Generalstaatsanwaltschaft München.

Die deutschen Ermittler gehen von einem versuchten Terroranschlag gegen das israelische Generalkonsulat aus. Der Bewaffnete war mit dem Fahrzeug seiner Familie vor dem NS-Dokumentationszentrum vorgefahren und sei auch ins Gebäude eingedrungen. Er habe "sowohl Schüsse auf das NS-Dokumentationszentrum als auf auch das Generalkonsulat des Staates Israel und zwei weitere Gebäude abgegeben", teilte die Polizei mit. 

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Täter wurde von der Polizei vor dem tödlichen Schusswechsel zum Niederlegen seiner Waffe aufgefordert

Beim NS-Dokumentationszentrum habe er auf die Fassade und auf die Glastür geschossen. Daraufhin sei er kurz in zwei benachbarte Gebäude eingedrungen. Darauf hätten unter anderem Blutspuren hingewiesen. Kurz danach sei es dann draußen zum Schusswechsel zwischen dem 18 Jahre alten Österreicher und fünf Beamten gekommen, bei dem der junge Mann starb und zwei weitere Personen ein Knalltrauma erlitten.

Der von der Polizei in München niedergeschossene Angreifer wurde von der Polizei vor dem tödlichen Schusswechsel zum Niederlegen seiner Waffe aufgefordert. Das sagte Polizei-Einsatzleiter Christian Huber. Er sei bereits beim Aussteigen aus seinem Fahrzeug von einer Polizeistreife gesehen worden.