Chronik/Österreich

Salzburgs Spitäler stehen vor dem Kollaps

Entscheiden zu müssen, welcher Patient noch ein Intensivbett bekommt und welcher nicht, weil es schlicht keine Ressourcen mehr gibt: Dieses Szenario – genannt „Triage“ – schwebte in jeder bisherigen Coronawelle wie ein Damoklesschwert über den österreichischen Spitälern. 

Wenn das Schwert fällt, kommt das dem   Kollaps des heimischen Gesundheitssystems gleich, vor dem Mediziner immer wieder gewarnt haben.  Noch nie war man dieser Situation so nahe wie derzeit in Salzburg.

Wie berichtet, warnte ein Sprecher der Salzburger Landeskliniken (SALK) am Montag im KURIER-Gespräch, dass es bis zur Triage „nur noch eine Frage von Tagen“ sei, wenn die Zahl der Patienten derart weiter steigt. Schon einen Tag später, am Dienstag, hat sich die SALK-Geschäftsführung  mit einem dramatischen Hilferuf an das Land Salzburg als Spitalserhalter gewandt. 

Sechsköpfiges Triagierungsteam nominiert

Wie zunächst die Salzburger Nachrichten berichteten, könne in den Kliniken die Behandlung weiterer Patienten nach geltenden medizinischen Standards und Sorgfaltsmaßstäben bald nicht mehr garantiert werden. Es drohe eine Notstandssituation einzutreten, in der intensivmedizinische Triagierungen vorgenommen werden müssen. 

Bedeutung
Abgeleitet vom französischen „trier“ (sortieren) bedeutet das medizinische Fachwort so viel wie „Entscheidung, wer zuerst versorgt werden soll“. Die Triage kommt
etwa in Kriegs- oder Katastrophengebieten zum Einsatz.

Kapazitätsmangel
Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wird von Triage dann gesprochen, wenn nicht mehr alle schwer erkrankten Personen – egal ob mit Covid oder nicht – auf der Intensivstation aufgenommen werden können und Ärzte entscheiden müssen, wer noch ein Bett bekommt und wer nicht. Das Gesundheitssystem nähert sich damit schrittweise dem Kollaps.

Die SALK haben bereits ein sechsköpfiges Triagierungsteam nominiert, das aus fünf Medizinern verschiedener Fachbereiche – darunter ein Internist, ein Intensivmediziner und ein Palliativarzt – und einer Juristin besteht. Dieses Team müsste im Fall der Fälle dann entscheiden, welche Patienten noch intensivmedizinisch behandelt werden können.  

Fünf-Punkte-Plan soll Überlastung der Spitäler verhindern

Am Dienstagnachmittag waren 31 der 51 für Covid vorgesehenen Intensivbetten belegt. Der Großteil der Patienten ist laut SALK ungeimpft. Noch gebe es einen „kleinen Puffer“ bei den Kapazitäten, dieser könne aber schnell  schwinden.  Paul Sungler, Leiter der Landeskliniken, richtete am Abend im „ZiB2“-Interview dann auch einen Appell an die benachbarten Bundesländer und an das Ausland: Er hoffe auf Hilfe, „sobald in Salzburg keine Intensivpatienten mehr aufgenommen werden können“. 

„Die Situation ist besorgniserregend“, musste gestern auch der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) eingestehen. Mit einem Fünf-Punkte-Plan soll die Überlastung der Spitäler verhindert werden. Unter anderem will man eine sogenannte Covid-Transferstation einrichten, die Behandlung von Covid-Patienten soll so weit wie möglich dezentralisiert werden.  Um den Impfschutz aufrechtzuerhalten, solle der dritte Stich für alle Impfstoffe nach vier Monaten möglich sein. Labor- und Contact-Tracing-Kapazitäten werden aufgestockt.

„Ich halte es für sinnvoll, den Weg mit den verschärften Maßnahmen in Salzburg einmal konsequent weiterzugehen und nicht jeden Tag neue Maßnahmen zu machen“, sagt Haslauer.

Soll heißen: Einen Lockdown für alle schließt er weiterhin aus. „Damit würden wir der endlich zunehmenden Impfbereitschaft erheblichen Schaden zufügen.“

Voller Lockdown in Salzburg als "einzige Lösung"

Anderer Meinung ist sein grüner Stellvertreter Heinrich Schellhorn. Er fordert eine allgemeine „November-Ruhe“ mit geschlossener Gastro, abgesagten Veranstaltungen und Homeoffice sowie Homeschooling für die Oberstufe.

Unterstützung erhält er dabei von Experten: Walter Hasibeder, Präsident der Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), sprach sich für die Hochinzidenz-Bundesländer Oberösterreich und Salzburg kurzzeitig für einen „generellen Lockdown“ aus. Besonders Salzburg befinde sich „am Rande der Dekompensation“. Epidemiologe Gerald Gartlehner sieht das ähnlich: Der „volle Lockdown“ sei für Salzburg „die einzige Lösung“, sagte er im ORF.

"Triage light" in Tirol

Neben Salzburg ist Oberösterreich derzeit am stärksten  betroffen. Wenn es nicht bald zur Abflachung der Kurve kommt, steht die Triage auch dort bevor. „Bleiben die Neuinfektionen so hoch, kann es schon Ende November so weit sein“, warnte Tilman Königswieser, Ärztlicher Direktor des Salzkammergut Klinikums und Mitglied des Landeskrisenstabes, bereits am Montag. 

Ähnlich die Lage in Tirol: „Wir haben jetzt schon eine Triage light, weil wir Patienten nicht mehr so behandeln können, wie wir sollten“, sagte die Tiroler Intensivmedizinerin Barbara Friesenecker in der „ZiB 2“. 

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