Chronik/Österreich

Amokfahrer-Prozess in Graz: "Ich habe mich verfolgt gefühlt"

Am Dienstag hat im Grazer Straflandesgericht der Prozess gegen Alen R. begonnen. Er soll im Juni vorigen Jahres bei seiner Amokfahrt durch die Innenstadt drei Menschen getötet und viele verletzt haben. Der Besucherandrang war weniger groß als erwartet, planmäßig gingen die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung sowie die Befragung des Beschuldigten und erster Zeugen über die Bühne.

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Die Staatsanwaltschaft hat deshalb einen Antrag auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingebracht. Das Geschworenengericht unter Vorsitz von Richter Andreas Rom hat in der Verhandlung über eine Einweisung zu entscheiden. (Warum er nicht wegen Mordes angeklagt wird, erfahren Sie im Detail hier.)

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Vor dem Straflandesgericht waren Sperrgitter aufgestellt worden, doch von einem Besucheransturm konnte keine Rede sein. Alle erhielten ihre Eintrittskarten und konnten im Schwurgerichtssaal oder bei der Übertragung in einen zweiten Saal dabei sein. Obwohl Fotografieren erlaubt war, war auch diesmal wie schon bei den Jihadisten-Prozessen ein Gerichtszeichner am Werk.

Die Eröffnungsplädoyers waren knapp, zwei Staatsanwälte und Verteidigung fanden mit insgesamt 23 Minuten ihr Auslangen. Staatsanwalt Rudolf Fauler schilderte noch einmal die Wahnsinnsfahrt vom 20. Juni, die nur wenige Minuten dauerte, aber "für viele Menschen eine Zäsur darstellte". R. raste "mit bis zu 80 km/h durch die Herrengasse", wobei sein Geländewagen zahlreiche Personen erfasste. Eine Frau und ein vierjähriger Bub waren sofort tot, ein Fußgänger war bereits zu Beginn der Fahrt niedergemäht und getötet worden. Ein weiteres schwerverletztes Opfer war einige Monate später an Herzversagen gestorben, was aber laut Staatsanwaltschaft nichts mit der Tat zu tun hatte.

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Der zweite Staatsanwalt, Hansjörg Bacher, erklärte den Geschworenen in erster Linie das Problem mit den unterschiedlichen psychiatrischen Gutachten, von denen zwei R. als nicht zurechnungsfähig eingestuft hatten, während ihm ein Sachverständiger Zurechnungsfähigkeit bescheinigte. Auch Verteidigerin Liane Hirschbrich betonte, es gehe in diesem Verfahren nur um die Frage der Zurechnungsfähigkeit.

Richter Rom meinte, er sei "verwundert" über das überaus gepflegte Aussehen des mutmaßlichen Amokfahrers, der von Kopf bis Fuß in Weiß erschienen war und keinen Bart, dafür aber eine Brille trug. Im Laufe der Verhandlung erzählte er immer wieder, dass seine Frau ihn zuhause eingesperrt habe und er selbst ein "sehr ruhiger Mensch" sei. Warum seine mittlerweile geschiedene Ehefrau mit den beiden Kindern ins Frauenhaus geflüchtet war, konnte er aber nicht sagen.

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Grund für die Wahnsinnsfahrt sei "ein Schuss" gewesen, den niemand sonst gehört hatte. "Ich war in Panik und wollte zur Polizei", schilderte er. Dass er dabei Menschen überfahren habe, sei ihm nicht bewusst gewesen, "weil die Leute sowieso ausweichen." Die Zeugen - unter ihnen der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP), gaben an, R. sei gezielt auf Passanten und Radfahrer zugefahren. Nagl beschrieb, dass die Opfer "wie Puppen auf dem Gehsteig" gelegen seien.

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Doch der 27-Jährige sah sich selbst als Opfer. Seine Angaben variierten schon am ersten Verhandlungstag stark, einmal war es der Schuss, der ihn erschreckt hatte, dann wollte er seinen Schwiegervater in der Stadt gesehen haben und war nur bestrebt, vor ihm zu flüchten. "Er wollte mich erschießen", erzählte er plötzlich. "Das ist neu", sagte einer der Opferanwälte.

Im Vergleich zum vorgespielten Video der Einvernahme am Tag nach der Tat wirkte Alen R. wesentlich gedämpfter, er sprach mit hoher, leiser Stimme. Seine Anwältin brachte die vielen Tabletten ins Spiel, die er angeblich wegen seiner Rückenschmerzen nehmen muss. Bereits im Juli 2015 schrieb er, er sei eher für die Krankenanstalt geeignet als für das Gefängnis. Derzeit wird er in der Grazer Nervenklinik Sigmund Freud verwahrt.

Der Prozess wird am Mittwoch um 9.00 Uhr fortgesetzt. Am Vormittag sind die ersten Gutachter - Gerichtsmediziner, Verkehrssachverständiger, Toxikologe - am Wort, am Nachmittag sollen weitere Zeugen gehört werden.

Bei dem Prozess sind 130 Zeugen geladen, darunter auch drei psychiatrische Sachverständige und andere Gutachter. Der Amokfahrer-Prozess ist für neun Tage anberaumt.

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