Chronik/Österreich

Böse Miezen: Katzen im Hausarrest

Die baden-württembergische Stadt Walldorf war bis vor Kurzem vor allem für ihr Autobahnkreuz bekannt. Nun erlangt die Stadt neue Berühmtheit durch eine umstrittene Maßnahme. Seit Mai stehen dort Katzen unter Hausarrest – zum Schutz der Haubenlerche, einer vom Aussterben bedrohten Vogelart. Gegen das bundesweit einzigartige Miezen-Ausgangsverbot haben an die 50 Katzenbesitzer nun Einspruch erhoben, Medien sprechen von „Katzenknast“ und die örtliche FDP macht Stimmung gegen den Katzen-Arrest. Schuld am Vogeltod seien andere: Steinmarder, Füchse oder Krähen.

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Auch Tier-Experten sind über die Verhältnismäßigkeit des Katzen-Lockdowns bis Ende August uneins. Unbestritten ist: Der Einfluss von Katzen auf die Vogelwelt ist ein sehr emotionales Thema. Schriftsteller Jonathan Franzen, passionierter Vogelbeobachter, widmete der Sache vor einigen Jahren sogar einen Roman. Die Rettung der Natur in Gestalt eines Vogels namens Pappelwaldsänger spielt im 700-Seiten-Wälzer „Freiheit“ eine zentrale Rolle. Darin lässt Protagonist Walter, zunächst harmloser Naturliebhaber, später immer radikalerer Vogelbeobachter, aus Sorge um die gefährdeten Waldsänger sogar Nachbars Kater verschwinden.

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Viele Katzenbesitzer wissen  nicht, was ihre Stubentiger für Killer sein können."

Klaus Hackländer
Wildbiologe

So weit gehen die wenigsten bei uns. Doch das Thema polarisiert. Weltweit gibt es 60 Millionen Hauskatzen, 1,8 davon leben in Österreich. Freigänger und verwilderte miteingerechnet. Und es gibt tatsächlich Hinweise, dass sie Einfluss auf den Rückgang einzelner Vogelarten im urbanen Raum haben könnten. Klaus Hackländer, Wildbiologe an der Universität für Bodenkultur, hält den Walldorfer Katzenlockdown für eine sinnvolle Maßnahme – zur Bewusstseinsbildung. „Viele Katzenbesitzer wissen gar nicht, was für Killer ihre Stubentiger sein können. Das, was Katzen nach Hause bringen, ist ja nur ein Bruchteil der Jagdbeute. Freigängerkatzen können tatsächlich Einfluss auf bedrohte Arten haben.“ Allerdings: „Natürlich sind Hauskatzen nicht schuld am Aussterben der Haubenlerche. Das größte Problem der Haubenlerche und für die Artenvielfalt generell sind die Verluste von Lebensraum durch Flächenversiegelung und die Intensivierung der Landwirtschaft. Wir haben enorme Biodiversitätsrückgänge in der Agrarwirtschaft. Vögel wie Rebhühner sind bald ausgestorben, dabei waren sie einst Allerweltsvögel.“

Der böse Wolf

Katzenarrest gegen Vogelschwund – eine zu simple Antwort auf ein tiefgreifenderes Problem. Sie erinnert an den Wunsch vieler Landwirte, den Wolf zum Abschuss freizugeben, um die Schafe zu schützen. Auch daran glaubt Hackländer nicht. „Wir treiben die Nutztiere auf die Almen und passen nicht auf sie auf. Das geht nicht, wenn der Wolf wieder da ist. Und selbst, wenn es erlaubt wäre, den Wolf zu töten, wäre das nicht so einfach. Weil er nachts unterwegs ist und dem Menschen aus dem Weg geht. Schnelllösungen funktionieren nicht.“ Was funktionieren könnte: „Weniger Emotion, mehr Vernunft. Schwierig allerdings, wenn wir mit einem Tier emotional verbunden sind wie mit der Katze. Oder wenn unsere Kulturgeschichte seit Jahrhunderten vom bösen Wolf erzählt.“

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Schafbauern in Tirol oder Kärnten brauchen erst gar nicht an Märchen vom bösen Wolf zu denken. Ihnen genügt der regelmäßige Anblick gerissener Schafe auf ihren Almen. Zwar stirbt weniger als ein Zehntel der Schafe auf Österreichs Almen durch Wölfe. Die meisten kommen durch Blitz- und Steinschlag, Lawinen, Schneedruck oder Krankheiten um. Dennoch gilt der Wolf als Hauptfeind der Bauern, die sich eine Co-Existenz mit dem von Mythen belasteten Tier nicht vorstellen können.

„Wo der Mensch seine Interessen hat und diese gefährdet sieht, gibt es Konflikte. Ob mit Biber, Fischotter, Luchs, Wolf oder Bär,“ sagt Christian Pichler, Wolfsexperte der Tierschutzorganisation WWF.

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Wie erklärt er den Wolfsschutz einem Bauern, der seine Existenz durch Wolfsrisse gefährdet sieht? „Die Sorgen muss man ernst nehmen. Aber das Bild, dass es in der Natur Nützlinge und Schädlinge gibt, ist veraltet. Die Natur ist ein Gefüge, das ineinandergreift wie ein Zahnrad. Wenn ich eine Kleinigkeit ändere, läuft es nicht mehr. Wir haben auf der ganzen Welt Konflikte mit bestimmten Arten. In Afrika mit Elefanten, die Getreidefelder zerstören, in Indien Tiger und Leoparden, die Nutztiere und manchmal auch Menschen fressen. Aber das Ziel kann nicht sein, diese Tiere auszurotten. Man muss immer das gelindeste Mittel suchen. Bei den Wölfen heißt das: Herdenschutz. Schäfer und Zaun. Einen Wolf zum Abschuss freizugeben, wird nicht die Lösung sein. Italien, Deutschland und Schweiz machen vor, wie es geht. Man wird sich umstellen müssen, leicht ist das nicht. Da ist allerdings die Politik gefordert – den einzelnen Bauern kann man das nicht umhängen.“

Das Artensterben

Hitze, Trockenheit und niedriger Milchpreis: Viele Almbauern sind jetzt schon am Limit. Dass Almen aufgelassen werden, liegt nicht am Wolf. Aber er bringt das Fass zum Überlaufen. Je komplexer die Gemengelage, desto schneller ist ein Sündenbock gefunden. Möglicherweise auch, um die wahren Probleme zu verdrängen. Laut internationalem Weltbiodiversitätsrat drohen aktuell bis zu eine Million von geschätzten acht Millionen Tier- und Pflanzenarten auszusterben, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Der WWF spricht vom „größten Artensterben seit dem Ende der Dinosaurier“: Seit 1970 sind die untersuchten Wildtierpopulationen weltweit im Schnitt um 68 Prozent eingebrochen.

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Die Europäische Umweltagentur stellt insbesondere Österreich ein schlechtes Zeugnis aus: Rund 80 Prozent der bewerteten Arten und Lebensräume seien in keinem „guten Zustand“. Die Ursachen sind vor allem menschengemacht – Flächenfraß, Übernutzung und Verschmutzung. Aber schuld soll immer wieder ein einzelnes Tier sein. Ein böses Tier.

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Braunbär

Der  Flexitarier: Auch über die Rückkehr des Braunbären in Europa (derzeit gibt es laut WWF 17.000)  freuen sich nicht alle. Dabei frisst er weniger Nutztiere als der Wolf, weil er sich zu 75 Prozent vegetarisch ernährt. Trotzdem halten manche seine Nähe für besorgniserregend. Der letzte in Österreich geborene Braunbär  verschwand im Jahr 2011.  Seither gibt es nur noch Bärenbesuche aus Slowenien oder Italien. 

Wolf

Der Mythenumrankte: Sein schlechtes Image ist legendär: An den Mythos vom Werwolf anknüpfend, wurde der Wolf in Verbindung mit dem Teufel gebracht. Mitte des 19. Jahrhunderts in Westeuropa  ausgerottet, leben heute  wieder  in ganz Europa Wölfe, sie gehören zu den streng geschützten Tierarten. In Österreich sollen  rund 40 Exemplare leben. Sehr zum Missfallen vieler Bauern, die ihre Nutztiere  gefährdet sehen. 

Fischotter

Der Gesundheitspolizist: Teichwirte und  Fischer  haben wenig Freude mit ihm: Für sie ist der  Fischotter eine echte Plage, verantwortlich für den Rückgang der Fischbestände.   Naturschützer bezeichnen den Otter hingegen als  „Gesundheitspolizei“ für vitale Fischbestände und wichtig  für das Ökosystem Fluss. In Österreich gab es immer schon Fischotter, im 20. Jahrhundert wurden sie  fast ausgerottet, nun erholt sich der Bestand langsam.   

„Die Menschheit gräbt sich gerade ihre eigenen Lebensgrundlagen ab. Wir setzen uns nicht für geschützte Arten ein, weil wir sie so süß finden, sondern weil sie uns helfen, unsere Lebensgrundlagen zu bewahren. Der Wolf ist die Gesundheitspolizei unserer Wälder. Er frisst kranke Tiere und bewahrt uns so vor der Übertragung dieser Krankheiten. Und er sorgt dafür, dass der durch Wildfraß gefährdete Baumbestand erhalten bleibt“ sagt Christian Pichler.

Ein Herz für Renegaten

Schriftstellerin Bettina Balàka beschäftigt sich seit Jahren mit Tieren, die ein schlechtes Image haben. Sie hat, sagt sie, „ein Herz für die Renegaten der Tierwelt.“ Den Bibern, verschrien dafür, dass sie Bäume fällen, widmete sie ein Kinderbuch. Den Tauben – Filmemacher Woody Allen nannte sie „Ratten mit Flügeln“, – einen ganzen Roman. Woher kommt die Sympathie? „Tauben sind das einzig wirklich frei lebende Tier, das man in der Stadt sieht. Sie sind unter uns und doch verhasst. Ich frage mich, warum? Ihr schlechter Leumund beruht auf einem Mythos. Auch hat nicht der Biber den Wald auf diesem Planeten vernichtet. Genauso wenig, wie die Katzen schuld am Aussterben einzelner Vogelarten sind. Schuld ist immer der Mensch. Klar, wenn nur mehr drei Bäume da sind, dann kann ihnen der Biber zusätzlich schaden. Den Biber deshalb zum Sündenbock zu stempeln, ist absurd.“

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Es ist vor allem das ambivalente Verhältnis des Menschen zum Tier, das Balàka beschäftigt. „Bei uns Menschen muss immer als ordentlich sein. Betoniert, gemäht, gesäubert. Gleichzeitig hat man in der Wohnung Terrarien, Käfige und Zimmerpflanzen, um sich die Wildnis wieder hereinzuholen. Das ist äußerst bizarr.“ Sie selbst, fügt Balàka hinzu, lebe allerdings „auch nicht hundert Prozent tiergerecht. Gelsen erschlage ich manchmal.“

Sich an der Realität messen muss sich dieser Tage wohl auch die Kleinstadt Walldorf. Ob es dort gelingen wird, die Katzen über den Sommer konsequent daheim zu lassen, zweifelt Biologe Hackländer, selbst Katzenbesitzer, an. „Wer glaubt, Katzen, die hinaus wollen, langfristig einsperren zu können, dem sage ich: Viel Spaß.“

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