Chronik/Österreich

Jungen Menschen geht im Lockdown die Luft aus

„Der Virus hat den Computer zu meinem besten Freund gemacht“, erzählt ein 15-Jähriger aus einer SOS-Kinderdorf Wohngruppe in NÖ. „Ich würde gerne endlich wieder schwimmen gehen, das geht jetzt leider nicht“, meint eine 16-Jährige und ein 17-Jähriger fragt: „Wann darf ich nochmal meine Pubertät haben?“

Wie groß die psychische Belastung von Jugendlichen in Corona-Zeiten ist, zeigen aktuelle Zahlen von Rat auf Draht. Die Notrufnummer von SOS-Kinderdorf zieht ein Jahr nach dem ersten Lockdown Bilanz: „Die Dramatik und Dringlichkeit der Themen hat stark zugenommen. Statt über Liebeskummer oder die erste Reise ohne Eltern führen wir verstärkt Gespräche zu Angstzuständen, Essstörungen und Suizid“, so Birgit Satke, Leiterin von Rat auf Draht. Man schlägt Alarm: „Für Jugendliche waren und sind die Corona-Einschränkungen immer noch besonders belastend“, so Clemens Klingan, SOS-Kinderdorf Geschäftsleiter NÖ. „Wir haben die Ängste und Sorgen unserer 200 Kinder und Jugendlichen in NÖ intensiv erlebt.“

Die hohe Jugendarbeitslosigkeit führe dazu, dass Existenzängste zunehmen. „Dazu kommen gesellschaftliche Normen, der Filter des perfekten Lebens auf den soziale Medien und Leistungsdruck in der Schule – Jugendliche stehen von allen Seiten unter Druck“, sagt Katrin Grabner, Kinderrechtsexpertin bei SOS-Kinderdorf. „Nichts ist planbar und statt einer positiven Perspektive sehen junge Menschen in eine ungewisse Zukunft.“

Angst vor der Zukunft

Die Themen, wegen derer sich Jugendliche an Rat auf Draht wenden, sprechen eine deutliche Sprache: Die Anrufe wegen Angst nahmen vom 1. März 2020 bis zum 28. Februar 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 61 Prozent zu, die Überforderung mit Schule und Homeschooling sogar um 159 Prozent. Bei der Arbeitslosigkeit betrug die Zunahme 60 Prozent, bei Essstörungen 35 Prozent, bei Schlafstörungen 64 Prozent, psychische Probleme wurden um 45 Prozent öfter genannt und Suizidgedanken um 15 Prozent.

Als ersten Schritt zur Stärkung der Jugend fordert SOS-Kinderdorf ein bezahltes Perspektivenjahr für 18- bis 21-Jährige.„Für einen gewissen Zeitraum finanzielle Unterstützung zu bekommen, die an keine Bedingungen geknüpft ist, würde ein Stück Sicherheit zurückgeben“, erklärt Klingan.

Taskforce in Mödling

„Ich will jetzt nicht dramatisieren und von einer verlorenen Generation sprechen, aber wir nehmen die Studien und Berichte sehr ernst“, sagt Mödlings Jugendstadtrat Stephan Schimanowa (SPÖ). Denn nicht nur Umfragen zeigten, dass bei den Jugendlichen Pandemie und Lockdown psychische Spuren hinterlassen, auch die Beobachtungen der Mödlinger mobilen Jugendarbeit gehen in diese Richtung.

„Während es anfangs großes Verständnis für die Maßnahmen gab, ist die Stimmung bei den Jugendlichen mittlerweile komplett gekippt“, so der Jugendstadtrat. Man habe bereits reagiert und einen zusätzlichen Mitarbeiter für die mobile Jugendarbeit angestellt.

Mit einem auf kommunaler Ebene völlig neuem Projekt will man noch mehr Unterstützung bieten. Am 24. März findet ein erstes (Zoom-)Treffen der Taskforce Jugend statt. Neben Vertretern der Gemeinde, der Jugendarbeit und der Bezirksbehörde sowie Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig  sollen auch Psychiater, Schulen, Vereine und Jugendliche mit dabei sein. „Wir wollen uns vernetzen, die Handlungsspielräume nutzen und nachfragen, wie wir die Jugendlichen am besten stärken können. Sie sollen nicht nur zu Wort kommen, sondern sich auch einbringen“, so Schimanowa.