Wie eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft durch das Land zieht
Die Hilfsaktionen der Regierung und der Bundesländer für die Menschen in der Ukraine sind bereits voll angelaufen. Transporte mit Hilfsgütern sind unterwegs. Gleichzeitig werden für die Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet Quartiere frei gemacht.
Abseits dieser Aktionen des Staates und der verschiedenen karitativen Organisationen ist auch in der Zivilgesellschaft eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft zu spüren. In ganz Österreich werden täglich neue Initiativen gesetzt, um den Opfern des Einmarsches der Russen zur Seite zu stehen. So wurden etwa dem Innenministerium zusätzlich zu den offiziellen Unterkünften bereits an die 12.000 private Quartiere für geflüchtete Ukrainer gemeldet.
Der KURIER holt fünf Beispiele privater Hilfe vor den Vorhang, die für die Hilfsbereitschaft der österreichischen Bevölkerung stehen.
„Für mich hat Krieg ein Gesicht bekommen“
„Meine Leistung war nicht so groß, ich bin ja im warmen Auto gesessen, während sich andere stundenlang durch die Kälte gekämpft haben“, stapelt Erwin Kerschbaumer tief, wenn er über seine Fahrt spricht. Über Telegram hatte der Badener (NÖ), der mit einer Ukrainerin verheiratet ist, von der dramatischen Situation von Frauen und Kindern auf der Flucht erfahren. „Die Leute waren unterwegs und wussten nicht mehr weiter. Ich habe nicht groß nachgedacht und bin mit einem Freund losgefahren.“
Vor Ort herrschte Chaos. „Alles war voll mit Autos, viele versuchten, Verwandte von der Grenze zu holen. Es war kein Übertritt zu Fuß erlaubt“. Übers Handy gelang es, die Flüchtlinge im Grenzgebiet zu finden und in Sicherheit zu bringen.
Kerschbaumer: „Weder fühlen wir uns besonders oder gar heldenhaft. Wir sitzen einen Tag im Auto und sind geschafft. Da gibt es einen anderen Helden: Das ist Ivan, fast drei Tage unterwegs, vor dem Krieg geflohen. Stundenlang im Freien in der Kälte. Ohne nur einmal zu weinen oder sich zu beklagen. Für mich hat Krieg ein Gesicht bekommen“.
Der achtjährige Bub und die anderen haben rasch einen Platz gefunden, Private stellten Wohnungen und Hilfe zur Verfügung. Kerschbaumer: „Es ist unvorstellbar, was man dort sieht und erlebt, es ist so unsagbar traurig“.
„Momentan geht es um’s Leben retten“
Elfriede Wunderlichs Telefon klingelt. „Da muss ich abnehmen“, sagt die Chefin eines Erdbeer- und Kürbisbetriebs bei Karlstein (NÖ). Am anderen Ende der Leitung ist Swetlana, sie gibt Bescheid, dass sie und elf weitere Frauen und Kinder in Rumänien in einem Camp angekommen sind, wo sie schlafen werden. „Ein Unternehmer aus dem Nachbarort fährt gerade dorthin, holt die Gruppe ab und bringt sie zu uns auf den Hof“, erklärt Wunderlich Es ist insgesamt der dritte Transport für Flüchtende aus der westukrainischen Stadt Kamenets-Podolskyj, den Familie Wunderlich organisiert hat.
Sie hat Verbindungen in die Ukraine, „Freunde, nein eigentlich ist es Familie“. Seit 20 Jahren kommen jedes Jahr Erntehelfer auf den Waldviertler Hof. Als die ersten Bomben gefallen sind, hat die Familie alle Helferinnen und Helfer kontaktiert – in der Hauptsaison sind es bis zu 100, die auch in Betriebsquartieren untergebracht sind – und gesagt: „Bitte kommt zu uns, hier seid ihr sicher“. Diese Botschaft sollten sie auch an Bekannte weiterleiten.
Rund 30 Frauen und Kinder haben das Angebot angenommen. „Leider nicht mehr, sie wollen nicht ohne ihre Männer und Söhne gehen“, sagt die Chefin, die auch von der Hilfsbereitschaft in der Region überwältigt ist. „Wir bekommen so viel Unterstützung.“ Und was ist mit dem Betrieb? „Momentan geht es um’s Leben retten“, sagt Elfriede Wunderlich.
„Ein Posting auf Instagram reichte“
Seit Samstag haben im Hotel am Brillantengrund (7. Bezirk, Bandgasse 4) 60 Menschen endlich Sicherheit gefunden, nach ihrer Flucht vor dem Krieg in der Ukraine. „Mein Handy läutet gerade wieder, es ist eine ukrainische Nummer“, sagt der Besitzer des Hotels, Marvin Mangalino.
Der 41-Jährige postete in einer Instagram-Story, dass er leere Zimmer für Menschen auf der Flucht zur Verfügung stelle. „Und schon kamen einfach Autos vorbei, setzten Familien bei uns ab“, sagt er. Die große Resonanz auf dieses Posting zeigt ihm, wie viele Menschen jetzt aus der Ukraine kommen werden. Er wollte ursprünglich nur 25 Menschen aufnehmen.
Das Vintage-Hotel – eine Mischung aus alt und neu – ist bereits für seine soziale Ader bekannt. Schon im Jahr 2015 nahm man eine syrische Familie auf, die später drei Jahre im Hotel wohnte und hier arbeitete.
„Sie sind sechs Monate bis 70 Jahre alt, ein kleiner Bub hat einen Hund, sein Großvater kam im Rollstuhl“, sagt Marvin Mangalino. Und er ergänzt: „Manche haben nur 20 Euro mit, andere wollen nach Valencia.“
Drei Wochen können sie bei ihm bleiben. Danach werden leer stehende Häuser gesucht. Für die Verpflegung haben sich Restaurants in der Nachbarschaft angeboten: Café Europa, Ullrich und Zur Stadt Krems.
Bürgermeister lenkte selbst Hilfs-Lkw ins Krisengebiet
Viele Gemeinden zeigten Engagement angesichts der dramatischen Entwicklung. Vösendorfs (Bezirk Mödling) Bürgermeister Hannes Koza (ÖVP) etwa hatte einen Aufruf gestartet und wurde „von den zahlreichen Spenden überwältig“. Mittwoch machte sich ein Team aus Gemeindemitarbeitern und Feuerwehrleuten auf den Weg zur ukrainischen Grenze. Zwei Lkw, einen lenkte Koza selbst, zwei Kasten- und ein Lieferwagen brachten Tonnen an Hilfsmitteln ins Krisengebiet. Die Vösendorfer nahmen auch Flüchtlinge mit. „Vösendorf ist zwar nicht ihre Heimat, wir werden aber alles tun, damit sie sich hier wie zu Hause fühlen“, betonte Koza.
Am Freitag gab es eine ähnliche Aktion in Traiskirchen (Bezirk Baden). Da fuhren zwei Sattelschlepper in Richtung Czernowitz ab. In der Stadt in der Nähe der rumänischen Grenze befinden sich rund 18.000 Flüchtlinge. Die Fahrzeuge stellten spontan Müller Transporte und Wien-West Tours kostenlos zur Verfügung, Spenden, Geld und Lagerkapazität hatte die Stadt Traiskirchen nach einem Aufruf von Bürgermeister Andreas Babler (SPÖ) organisiert.
Pfarrer war am schnellsten: Spenden sind schon vor Ort
Die ersten Hilfsgüter aus dem Burgenland trafen bereits am Dienstag in der Ukraine ein. Denn im westlich gelegenen Uschhorod richtete die lokale Caritas ein Flüchtlingsquartier ein – mit großer Unterstützung aus dem Burgenland.
Gattendorfs Pfarrer Günther Kroiss hatte einen der ersten Spendenaufrufe gestartet – und danach mit einer ganzen Schar von Freiwilligen und tatkräftiger Unterstützung diverser Feuerwehren alle Hände voll zu tun, die Logistik zu organisieren. Um die Spenden so schnell wie möglich ans Ziel zu bringen, wurden sogar fünf ukrainische Sattelschlepper „gekapert“, die sonst ohne Fracht nach Hause gefahren wären.
Die Hilfsbereitschaft hält weiter an. Am Samstag wurden nach einem Aufruf des Landes Spenden in zahlreichen Feuerwehrhäusern gesammelt und von Freiwilligen sortiert. In den umliegenden Supermärkten waren typische Waren wie etwa Windeln, Konserven oder Hygieneartikel so gut wie ausverkauft. Bereits am Nachmittag wurden die Hilfsgüter dann an die ukrainische Grenze transportiert.