Demo gegen Blau-Schwarz: Zehntausende Menschen protestierten in Wien
Gegen 17 Uhr sammeln sich am Donnerstagabend die ersten Menschen auf dem Wiener Ballhausplatz. Immer mehr kommen hier an. Pensionisten, Junge, Eltern mit Kindern. Die Polizei ist vor Ort, Drohnen kreisen in der Luft. Auf eindringliche Pfeifkonzerte folgen die ersten Sprechchöre: "Was bedeutet Schwarz und Blau? Rassismus und Sozialabbau!"
Der offizielle Start der Demonstration war für 18 Uhr angekündigt, um 18.30 formierte sich eine Menschenkette. Das Österreichische Netzwerk Zivilgesellschaft hatte zur Demonstration aufgerufen und wird unterstützt von der Volkshilfe, SOS Mitmensch und Greenpeace. Laut Veranstaltern kamen rund 50.000, laut Behördenkreisen rund 25.000 Menschen. Um 22 Uhr ist Schluss.
Mit dabei sind auch Petra und Jürgen, die seit dem Lichtermeer 1993 in Wien immer wieder auf der Straße gehen. "Wir demonstrieren heute, weil immer mehr Menschen in der Bevölkerung mit einer Politik sympathisieren, die mit einer liberalen Demokratie nicht zusammenpasst. Einmal alle 5 Jahre ein Kreuzerl machen, reicht nicht. Es geht um die Wurzeln dieses Landes", so Jürgen.
Und Petra: "Wir probieren es mit Humor und auf eine subtile Art und Weise (siehe Plakat am Bild), weil auch wenn das schrecklich ist, wollen wir jetzt nicht noch fester draufhauen. Besonders schlimm finde ich, dass die ÖVP der FPÖ mit ihren 30 Prozent zur Macht verhilft, obwohl das gar nicht notwendig ist. Bei der FPÖ wissen wir, welche Geisteskinder das sind, die Machbesessenheit der ÖVP schockiert mich aber."
Ein anderer Besucher ist Matthias, der sich als Künstler vorstellt: „Ich habe Angst um meine syrischen und irakischen Freunde, die sich jetzt fürchten, abgeschoben zu werden. Auch meine homosexuellen Freunde fürchten sich vor dem, was kommt. Außerdem mache ich mir Sorgen, dass künftig wahnwitzige Projekte umgesetzt werden, die unsere Umwelt zerstören.“
Hunderte in Innsbruck und Graz
Auch in Innsbruck und Graz wurde demonstriert. In Innsbruck trafen sich die Gegner einer etwaigen blau-schwarzen Bundesregierung am frühen Donnerstagabend in der Innenstadt. Vor der Annasäule in der Maria-Theresien-Straße versammelten sich die Demo-Teilnehmer, die einem Aufruf des "Bündnis gegen Rechts" gefolgt waren. Es nahmen rund 500 Menschen an der bisher ruhig verlaufenden Kundgebung teil, hieß es von der Polizei zur APA. In Graz ist Donnerstagnachmittag ebenfalls demonstriert worden: 100 bis 200 Frauen, Männer und Kinder hatten sich am Südtirolerplatz versammelt.
Rückblick
"Widerstand, Widerstand", hallte es durch Wiens Gassen. Einmal pro Woche wurde Anfang 2000 gegen die schwarzblaue Regierung unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel demonstriert, es waren die berühmten Donnerstagsdemos.
Die erste Regierung aus ÖVP und FPÖ musste wegen der Proteste sogar durch einen unterirdischen Gang zur Angelobung in die Hofburg. Rund 10.000 Menschen waren gekommen, es flogen Böller und Farbbeutel.
Später wurde sogar kurzfristig das Sozialministerium besetzt. Als die Kronen Zeitung ein verfälschtes Bild auf der Titelseite brachte, das einen angeblichen Angriff auf einen Polizisten dokumentieren sollte, kochte die (linke) Volksseele hoch.
Allein im ersten Halbjahr wurde 130-mal protestiert, lediglich 14 davon waren ordnungsgemäß angemeldet. Bei sieben davon - allesamt Donnerstagsdemos - kam es zu Ausschreitungen. Ein Kern von rund 200 gewaltbereiten Aktivisten bewarf die Polizisten mit Steinen und Tomaten. Mehrfach wurden Beamte auch mit Nägel beschlagenen Holzlatten attackiert.
Dabei gilt gerade die Wiener Polizeispitze durchaus auch als SPÖ-affin. Ein Wiener Polizeichef, der medienwirksam seine Tochter von der Demo geholt hatte, musste sogar wenig später den Hut nehmen.
Am 19. Februar gab es die größte Demo mit rund 150.000 Teilnehmern, am 24. Februar folgte die erste echte Donnerstagsdemo - in den ersten Wochen mit meist um die 10.000 Demonstranten. Danach fiel die Zahl immer weiter ab, in den Sommermonaten auf unter 1000. Grund dafür war auch, dass sich die blaue Ministerriege mit Politikern wie Hubert Gorbach oder Wolfgang Haupt als weniger rechts entpuppte, als von vielen vermutet.
Die Aktivisten hingegen wurden zunächst radikaler. Im Juni brachen rund 30 Personen aus dem Demozug aus und drangen ins Hotel Mariott ein, wo gerade Finanzminister Karl-Heinz Grasser an einer Tagung der österreichischen Nationalbank teilnahm.
Portier trug Schusswaffe
Nach und nach wurden die Demos zu langen Wanderungen durch die Stadt, ins Visier gerieten auch Medienhäuser, so kam es etwa zu Ausschreitungen vor dem ORF-Zentrum am Küniglberg. Da es auch immer wieder hieß, dass der KURIER (damals noch in der Seidengasse in Neubau) zum Ziel werden könnte, trug der Portier sogar eine Schusswaffe.
Fast drei Jahre hielten die Aktivisten durch, manchmal nahmen aber nur noch 50 Personen teil. Ab 2003 gab es Proteste nur noch zu speziellen Jahrestagen. Die letzte Donnerstagsdemonstration fand mit rund 400 Teilnehmern im Februar 2006 anlässlich ihres sechsjährigen Bestehens statt. 2007 war bereits wieder eine Schwarz-Rote Koalition im Amt.
Unter der Regierung Kurz/Strache (ab 2017) gab es wieder Donnerstagsdemos, allerdings blieben diese stets friedlich.
Jänner 1993
Am 23. Jänner fanden sich 250.000 bis 300.000 Menschen ein, um in Wien mit einem „Lichtermeer“ gegen Ausländerfeindlichkeit und das von der FPÖ initiierte Volksbegehren „Österreich zuerst“ Zeichen zu setzen.
Februar 2000
150.000 bis 200.000 Menschen traten am 19. Februar 2000 gegen die schwarz-blaue Koalition – ausgehandelt von Wolfgang Schüssel und Jörg Haider – auf. Das markierte den Start der wöchentlichen Demos, die bis 2002 stattfanden.
Mai 2003
Am 13. Mai 2003 demonstrierten rund 100.000 Menschen am Heldenplatz gegen die Pensionsreform.
November 2021
Am 20. November 2021 protestierten rund 44.000 Menschen in Wien – unter ihnen auch Rechtsextreme – gegen die Corona-Maßnahmen.