Die Veilchen duften nicht mehr
Sie wird auch künftig früh aufstehen. Nach mehr als fünf Jahrzehnten, in denen man täglich um drei Uhr Früh auf den Beinen war, ändert man seine Gewohnheiten nicht mehr.
Brigitta Pollak hat am Montag ihre Blumenhandlung in der Burggasse für immer zugesperrt. Zeitig raus, um auf den Blumenmarkt zu fahren, muss sie jetzt nicht mehr, aber der frühe Morgen gehört eben zu ihrem Leben. Die Stimme der eigentlich so resoluten Frau bricht, wenn sie erzählt, wie es war und wie es werden wird. Müsste man eine Blumenhändlerin für ein Bilderbuch zeichnen, würde sie aussehen wie Brigitta Pollak. Braune Strickweste, graue Schürze. Die Backen zart gerötet, das weiße Haar zum Knoten gebunden. Klein und zierlich, aber zäh. Blumenhändlerin ist ein schwerer Beruf und Brigitta Pollak wusste schon als kleines Mädchen, dass er der ihre werden würde. Der Grund war wohl die Blumenpoldi, die einst ganz in der Nähe ein Geschäft hatte, das Brigitta Pollak schon als Kind begeisterte.
Die Poldi gibt’s längst nicht mehr und auch sonst hat sich hier im Grätzel, wo Brigitta Pollak ihr ganzes Leben verbracht hat, viel verändert. Die Zeit bleibt ja nicht stehen, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Wehleidig ist sie gewiss nicht. Greißler, Fleischer, Bäcker gab’ s hier früher. Heute: Supermärkte. Als kleiner Händler muss man schauen, dass man durchkommt.
Ihre Kunden hat Frau Pollak alle persönlich auf das Aus vorbereitet. Hat angerufen, nur zwei Telefonate am Tag hat sie geschafft. Die Emotionen waren groß. Nach so langer Zeit könne man nicht einfach via Türschild über die Schließung informieren. Man hat die Menschen ja ewig begleitet. Von der Taufe bis zum Begräbnis. Kannte die Vorlieben eines jeden. Man muss sich eben in die Menschen hineinversetzen. Frau Pollak wusste, was den Buchbinders, den Löwingers, dem Peter Minich, der Kitty Speiser und der Brigitte Swoboda gefiel. Ja, hier hat die halbe Wiener Kunstwelt eingekauft, aber nicht nur die. Die vielen Abschiedsbriefe, die nun eingetroffen sind, stammen von Menschen, oft aus der Nachbarschaft, die über Jahrzehnte Freud und Leid mit Brigitta Pollak und ihrer Kollegin Raphaela De Martin geteilt haben. Sie haben unsere Leben blühend und bunt gemacht, ist in einem der Briefe zu lesen. „Seit ich ein Kind war, haben Sie unsere Familie begleitet. Wir können kaum glauben, dass ab morgen alles anders sein wird, heißt es in einem anderen. Und eine Frau Gerti richtet aus: Danke für die vielen Farben und Düfte in unserem Leben.
Am Tag, nachdem Brigitta Pollak zugesperrt hat, stehen im leeren Geschäft noch ein paar verwaiste Gießkannen herum. Die letzten Rosen zeigen farbenprächtig auf, als wollten sie Frau Pollaks Entschluss rückgängig machen. Auf dem Kühlschrank kleben noch ein paar Zettel, auf denen letzte Kundenwünsche vermerkt sind. Weiße Lilien für das Hotel nebenan. Einen Rosenstock hat sich noch jemand gewünscht. Warum das alles jetzt vorbei ist, hat viel mit den Tulpensträußen zu tun, die man heutzutage so gerne im Supermarkt kauft. Und den Orchideen, die man beim Vorbeigehen im Baumarkt mitnimmt. Früher hat Frau Pollak Kübel mit Blumensträußen vor der Tür gehabt. In den letzten Jahren hat sie die nicht mehr gebraucht.
Und dann ist da dieser merkwürdige Trend zum Minimalistischen. Opulenz war gestern, heute steckt man eine einzelne Blume in die Vase. Ist halt so. Anlass zur Hoffnung gaben zuletzt ausgerechnet die jungen Männer. Die am Valentinstag schüchtern vor der Tür standen und Blumen für die Liebste kauften. Hat leider nicht gereicht, um das Geschäft zu retten. Und Schulden, nein Schulden will Frau Pollak keinesfalls machen. Wenn sie jetzt schließt, dann wird alles seine Ordnung haben. Sie wird in Pension gehen und ihre Kollegin Raphaela, der sie im Lauf der gemeinsamen Jahrzehnte „Seelenmutter“ geworden ist, wird jetzt einmal in sich gehen. Ein Leben ohne Blumen werden beide auch in Zukunft nicht führen.
Frau Pollak wird sich ihre Blumen am Karmelitermarkt holen, sie kennt da einen Stand, wo es anständige Ware gibt. Am liebsten mag sie Veilchen. Sind leider selten geworden. Früher holten sich die Damen Sträußchen, um sie ans Revers ihres Kostüms zu stecken. Das macht heute niemand mehr. Und die Veileichen duften auch nicht mehr wie damals.