Der fast perfekte Mord: Die Erben der Elfriede Blauensteiner
Peter W. war 82 Jahre alt, dement, pflegebedürftig. Als sein Sohn den Arzt anrief, weil der Vater „eingeschlafen“ sei, stellte der Mediziner bei der Totenbeschau am 10. Juli 2018 eine natürliche Todesursache fest.
Akt geschlossen.
Die Leiche kam ins Krematorium, der 55-jährige Sohn wünschte eine Feuerbestattung des Vaters. Doch von dort ließ sie Staatsanwältin Nora Lackner nur wenige Stunden vor der Einäscherung doch auf die Gerichtsmedizin bringen. Nach einem Anruf wurde die Juristin skeptisch: Die Stieftochter des Seniors bezichtigte dessen leiblichen Sohn, ihn aus Geldgier getötet zu haben. Immerhin gehe es um ein Haus und 75.000 Euro.
Das weckt Erinnerungen an einen der spektakulärsten Kriminalfälle Österreichs - jenen um Elfriede Blauensteiner. Die „Schwarze Witwe“ tötete in den 1990er-Jahren mehrere Personen mit dem Medikament Euglucon. Auch das fiel auf, als sich der Neffe eines Opfers um das Erbe betrogen fühlte (Blauensteiner präsentierte stets auf sie lautende Testamente). Die Gerichtsmedizin entwickelte einen Euglucon-Test – Schuldspruch in drei Fällen.
Auch im steirischen Fall wurde der Gerichtsmediziner fündig. „Verletzungen im Hals- und Kehlkopfbereich. Tod durch Ersticken durch Druckwirkung auf den Kehlkopf“, beschreibt Staatsanwältin Lackner am Freitag. „Das ist mir klar geworden: Es geht um Mord.“
Was sie nicht dazusagt: Um ein Haar wäre er unentdeckt geblieben.
"Wie ein Tier gefangen"
Mehr als ein Jahr später steht der Sohn am Freitag in Graz vor Gericht. Alles nur Lügen der Stiefschwester, alles gefälscht, behauptet der 55-Jährige, der erst 2016 aus Deutschland zum Vater in die Steiermark kam. „Die hat ja behauptet, ich würde meinen Vater wie ein Tier gefangen halten!“, empört er sich.
Ob das stimme, hakt der Richter nach, doch derlei empfindet der Angeklagte als „eine ehrenrührige Frage“. Dann eben im Detail, befindet der Richter und zählt auf: Türen stets versperrt? Ein Extra-Schloss am Gartentor? Alarmanlagen an den Fenstern? „Zur Objektsicherung und damit sich der Papa nicht selbst umbringt. Er hat sich ja schon einmal in Suizidabsicht aus dem Fenster gestürzt“, wehrt der Sohn ab. Und wie erklärt er sich die Verletzungen, die die Gerichtsmedizin feststellte? „Mein Vater ist mehrmals gestürzt“, kommentiert der Angeklagte.
Der Prozess wird vertagt.
Kein Einzelfall
Dass ein Mord übersehen wird, wäre jedenfalls kein Einzelfall. Auch dafür gibt es ausjudizierte Beispiele etwa der Fall Bogumila Wojtas. Für einen 68-jährigen Wiener und einen 61-jährigen Niederösterreicher endete die Pflege durch die Polin Wojtas tödlich.
Die Tochter des Wieners, Karin Ojukwu, hatte den Giftkrimi mithilfe des KURIER und des ORF aufgedeckt. In den Leichen wurde später Arsen entdeckt, die Frau 2013 zu lebenslanger Haft verurteilt.
Oder der Fall um Gerhard Freiherr-Hanzalik und Michaela Säulenfels. Wendy Freiherr war im Urlaub in Paraguay angeblich an einer natürlichen Ursache gestorben und danach begraben worden. Zwei Jahre später wurde die Leiche exhumiert und ein Giftmord entdeckt. 2014 wurde Hansalik wegen Mordes an seiner Frau zu lebenslang, Säulenfels zu 17 Jahren Haft verurteilt.
20 Taten unentdeckt - pro Jahr
Experten gehen davon aus, dass in Österreich jedes Jahr rund 20 solcher Taten unentdeckt bleiben. Grund dafür ist auch, dass die Zahl der Obduktionen massiv gesenkt wurde (von 30.000 in den 1980er-Jahren auf rund 9.000 Leichen heutzutage).
Umgekehrt ist es aber nicht so leicht, den perfekten Mord zu begehen. Ein langjähriger Mordermittler beantworte einmal die Frage des KURIER, ob er mit seinem Wissen den perfekten Mord begehen könnte: „Nein, denn die Gefahr ist zu groß, dass man an einem Detail oder am Zufall scheitert.“