Chronik/Niederösterreich

Kontroverse um Konrad-Lorenz-Straße: Zusatztafel statt Umbenennung

Mit einer Zusatztafel wird nun in der Konrad-Lorenz-Straße in Tulln auf die Nähe zur NS-Ideologie hingewiesen, die der Namensgeber der Gasse am Rande der Stadt einst pflegte und deren offene Aufarbeitung der Nobelpreisträger des Jahres 1973 stets verweigerte.

Grundlage für den Schritt, den die Stadtgemeinde Tulln und die dort mit Instituten ansässige Universität für Bodenkultur (Boku) Wien nun gehen, ist ein Gutachten des Zeithistorikers Oliver Rathkolb.

Den Namen des hochdekorierten Zoologen, Ethologen und Ornithologen Konrad Lorenz (1903-1989) tragen in Österreich Forschungsinstitutionen, Straßen oder Gebäude.

Lorenz' wegweisende Forschungsarbeiten - er gilt als Begründer der Verhaltensforschung - brachten ihm höchste wissenschaftliche Weihen ein, allen voran den Medizin-Nobelpreis gemeinsam mit dem gebürtigen Wiener Karl von Frisch und dem Niederländer Nikolaas Tinbergen für "Entdeckungen zur Organisation und Auslösung von individuellen und sozialen Verhaltensmustern".

Bis heute werden allerdings seine Bezüge zum Nationalsozialismus vielerorts sehr kritisch gesehen.

Am Montag präsentierten Vertreter der Stadt Tulln, der Boku und Rathkolb die Ergebnisse eines gemeinsamen Projektes - eines davon ist die Zusatztafel mit einem erklärenden Text, den der Historiker verfasst hat.

Was auf der Tafel steht

So habe der Namensgeber der Straße bei der Nobelpreisverleihung zwar "die Anpassung in seinen Publikationen an die nationalsozialistische rassistische Terminologie" bedauert, gleichzeitig aber auch seine "Mitgliedschaft bei der NSDAP und interne antisemitische Polemik gegen Juden und Jüdinnen in seiner Forderung nach 'arteigener' deutscher Humanpsychologie" tunlichst verschwiegen, heißt es auf der Plakette. Darauf wird Lorenz allerdings auch als "bedeutender Wissenschaftler" und "engagierter Umweltschützer" gewürdigt.

Diese Widersprüchlichkeit wolle man thematisieren, halten Boku-Rektorin Eva Schulev-Steindl und der Tullner Bürgermeister Peter Eisenschenk (ÖVP) in einer Aussendung zu der Tafelenthüllung fest.

Gemeinsam mit der Stadtgemeinde wolle man "die persönliche Geschichte von Konrad Lorenz und seine Nähe zum Nationalsozialismus an unserem Standort in Tulln in einen zeithistorischen Kontext" setzen, so Schulev-Steindl.

Es brauche "fundiertes Wissen" zur nationalsozialistischen Vergangenheit des Landes, um "eine solche Gesinnung nicht wieder aufkeimen zu lassen.

Diese Absicht sowie die eindrucksvollen wissenschaftlichen Leistungen von Konrad Lorenz waren ausschlaggebend für uns, die Straße nicht umzubenennen, sondern vor Ort Informationen bereitzustellen, und daraus Lehren zu ziehen", wird Eisenschenk zitiert.

"Widersprüchliche Persönlichkeiten"

Dazu gehöre auch die Erkenntnis, dass sich Lorenz "intensiv und öffentlich in seinen Publikationen eng an die nationalsozialistische rassistische Terminologie angepasst und die staatlichen rassistischen bekannten Gesetze durchaus nicht nur akzeptiert, sondern vom Prinzip her gutgeheißen hat - viel klarer übrigens als manch andere Wissenschaftler in seinem Fachbereich", hält Rathkolb in seinem Gutachten fest.

An dem Beispiel zeige sich auch, dass es einer selbstkritischen Wissenschaftskultur und einer Abkehr vom "Geniekult" bedarf: "Selbst Nobelpreisträger können widersprüchliche Persönlichkeiten sein", so Rathkolb.