Chronik/Niederösterreich

Streit: Empörte Mediziner drohen mit Boykott

Es ächzt und kracht bei den Hausärzten – nicht nur, weil der niedergelassene Bereich immer weiter ausdünnt. Die Ärztekammer Niederösterreich und der nö. Patientenanwalt Gerald Bachinger fechten derzeit eine öffentliche Diskussion aus. Im schlechtesten Fall wird diese auf dem Rücken der Patienten ausgetragen.

Der Auslöser: Bachinger war vergangene Woche am Freitag im Ö1-Mittagsjournal zu Gast – Thema war ein Vorschlag der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). Die Idee: ein ausgeweitetes Angebot von Spitalsambulanzen, um Hausärzte zu entlasten und wieder eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Bachinger sprach in diesem Kontext von einer „grottenschlechten Versorgung im niedergelassenen Bereich“. Das sorgte für eine Empörungswelle „ohnegleichen“ in der Ärzteschaft, hieß es von der Ärztekammer Niederösterreich.

Spitalsambulanz
ÖGK-Chef Bernhard Wurzer sorgt mit seinem Vorschlag für  Diskussionsstoff: Er möchte Erstversorgungsambulanzen, wo ein Allgemeinmediziner  eine  Erstversorgung vornimmt. Damit sollen andere Stellen entlastet werden.

Finanzierung
Die Ambulanzen in den Spitälern werden traditionell von den Bundesländern finanziert, die Kassenärzte von der ÖGK. Bei einer Kooperation  sei die Finanzierung laut ÖGK Verhandlungssache.  Einen Anstieg oder eine Verlagerung der Kosten werde nicht erwartet.

Kein Bereitschaftsdienst

„Ich kann mich nicht erinnern, jemals so viele Nachrichten an einem Wochenende bekommen zu haben“, sagte Christoph Reisner, Präsident der niederösterreichischen Ärztekammer. Zahlreiche niedergelassene Ärzte drohen nun, ihre freiwilligen Dienste an den Nagel zu hängen. Wer seine Ordination an Wochenenden oder Feiertagen öffnet, tut dies nämlich freiwillig. Die Aussagen von Bachinger hätten jedoch für so große Verärgerung gesorgt, dass viele ab sofort nur noch „Dienst nach Vorschrift“ machen wollen.

Seit vergangenem Jahr ist der Bereitschaftsdienst nicht mehr Pflicht. Seitdem bleiben die Praxen vielerorts zu. Momentan sind 49 Sprengel in Niederösterreich zu weniger als 76 Prozent der Bereitschaftszeit – also unterdurchschnittlich – besetzt. Machen die Ärzte ihre Drohung also wahr, verschärft sich die Situation weiter. In einer Aussendung der Ärztekammer hieß es, die Ärzte erwarteten sich eine Entschuldigung vom Patientenanwalt Bachinger. Dieser sieht dazu aber keinen Anlass.

„Da müsste ich mich bei unserem Gesundheitssystem entschuldigen, nicht bei den Ärzten. Was ich kritisiere, ist nicht die Arbeit einzelner Personen, sondern das System, das dahinter steht“, stellt Bachinger klar. Die Patienten nun dafür bezahlen zu lassen, hält er für absurd. „Es geht hier nicht um persönliche Befindlichkeiten, sondern darum, dass eine gesundheitliche Versorgung sichergestellt ist“, so Bachinger.

Brief an Patienten

Aber damit nicht genug. Dem KURIER liegt ein Brief vor, in dem einige Hausärzte ihre Patienten dazu auffordern, sie zu unterstützen. Eine Ausweitung der Spitalsambulanzen hält man im niedergelassenen Bereich für keine gute Idee: „Wenn Pläne für derartige Veränderungen auf den Tisch kommen, fragen wir uns, ob das Ziel der Gesundheitspolitik ist, das Hausarztsystem gänzlich abzuschaffen – mittels ständiger medialer Abwertungen, zusätzlich zu den bürokratischen Steinen, die uns tagtäglich bei Ihrer Betreuung in den Weg gelegt werden. Bitte unterstützen Sie uns! Teilen Sie diese Information!“, schreibt die Ärzteschaft in dem Rundschreiben.

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Damit sieht Bachinger eine Grenze überschritten: „Wenn eine Entschuldigung fällig wäre, dann eigentlich für diesen Brief. Hier wird versucht, die Patienten vor den Karren der Standespolitik zu spannen“, sagt er.

Die erste Wahl bei einer Reform seien die Spitalambulanzen auch für ihn nicht. „Aber wir können zur Zeit keine Luxusdiskussionen führen. Wir müssen auf das zurückgreifen was möglich ist, einfach um die Versorgung aufrechtzuerhalten“, sagt Bachinger.

"Hausarzt-Ambulanz" in Tirol

In Tirol gibt es bereits ein Modell, das der angedachten Hausarzt-Ambulanz ähnelt. Seit beinahe drei Jahren gibt es an der Universitätsklinik Innere Medizin I des Landeskrankenhauses Innsbruck eine  „Hausarzt-Ambulanz“ – zwar ist diese Bezeichnung nicht offiziell, so ist sie aber intern und extern bekannt. Die Innsbrucker Klinik  ist der größte ambulante Versorger Europas. Laut Kliniken-Sprecher, Johannes Schwamberger,  werden rund 1,1 Millionen Patienten jährlich versorgt.

„Alles, was nichts Blutiges ist, kommt in unsere Ersteinschätzungsambulanz. Nach dem Manchester Triage System werden die eintreffenden Patienten nach der medizinischen Priorität eingestuft“, erklärt Schwamberger. Es sei eine Art Ampelsystem, akute „rote“ Fälle würden sofort behandelt, „grüne“ müssten länger warten. Die Ersteinschätzung nimmt kein Arzt, sondern medizinisch geschultes Personal vor.  Danach geht es für jene, die auch in einer Hausarzt-Praxis gut aufgehoben wären – also keine Akutfälle sind – weiter in einen angrenzenden Raum, die „Hausarzt-Ambulanz“, wo sie von einem Allgemeinmediziner untersucht werden.

Entlastung für NotfälleZwei Ärzte  sind dort von Montag bis Samstag von 9 bis 19 Uhr im Dienst. Sie werden von der ÖGK bezahlt, die Kosten für alles rundherum, wie etwa die Räumlichkeiten, trage das Krankenhaus selbst.

Diese Praxis sorgt für Entlastung: „Durch dieses System können die Ressourcen in unserer Uniklinik wieder besser dafür genutzt werden, wofür sie eigentlich gedacht sind: für die Versorgung von Notfällen“, betont Schwamberger.