Notruf aus den Bergen: In Uniform durch Gletscherspalten
Von Patrick Wammerl
Wandern und Bergsteigen sind zu beliebten Trendsportarten geworden – mit allen unangenehmen Nebenerscheinungen. Die Monate Juli und August gehen, was den Bergsport anbelangt, als der blutigste Sommer der vergangenen zehn Jahre in die Geschichte ein.
Wie eine Auswertung des Kuratoriums für alpine Sicherheit zeigt, wurden in Österreichs Bergen bei Alpinsportarten über 1.566 Menschen verletzt. Das ist der höchste Wert bei einer Rückschau bis ins Jahr 2014.
Hoher Blutzoll
69 Menschen sind heuer im Juli und August beim Bergsport ums Leben gekommen. Nur 2019 waren es mehr (70), das Zehnjahresmittel liegt bei 58 Todesopfern. Wer glaubt, dass der flache Osten des Landes dabei eine Ausnahme darstellt, der irrt. Auch bei der Bergrettung NÖ/Wien haben die Einsatzzahlen im ersten Halbjahr heuer deutlich zugenommen – von 535 im Vorjahr auf heuer 580. In den Sommermonaten betrug die Zunahme sogar 20 Prozent.
Alpinpolizei trainiert am Gletscher
Alleine in Niederösterreich ereignen sich jährlich mehr als 600 Alpinunfälle. Dafür braucht es Polizisten mit Fachkenntnissen in allen Bergsportdisziplinen. Die Beamten der Alpinen Einsatzgruppe (AEG) retten und bergen nicht nur, sondern ermitteln nach Lawinenunglücken, Kletter-, Mountainbike-, Rodel-, Canyoning- oder Forstunfällen.
Außerdem leiten sie Suchaktionen mit Unterstützung von Hubschraubern und agieren als Flight-Operator. Um die nötigen Fertigkeiten auch im hochalpinen Gelände zu trainieren und zu perfektionieren, führte die Landespolizeidirektion NÖ eine entsprechende Alpinausbildung im Eis und hochalpinen Gelände auf der Kürsingerhütte in 2.558 Meter Seehöhe in der Venedigergruppe in Salzburg durch.
Sondereinheiten
Alpinpolizisten, Beamte des Einsatzkommandos Cobra sowie der Sondereinheit Wega mussten den letzten Kursteil positiv bestehen, um die Qualifikation Polizei-Alpinist bzw. Polizei-Hochalpinist zu erlangen.
Die Teilnehmer mussten schwierige Besteigungen wie den Keeskogel (3.291 Meter), Großvenediger (3.657 Meter) oder den Großen Geiger (3.360 Meter) meistern. Dabei ging es über anspruchsvolle Grate wie Venediger Nordgrat und Westgrat, Geiger Ostgrat und Keeskogel Südgrat, erklärt Bernd Wagner, Landesausbildungsleiter für den Alpindienst der Polizei NÖ und staatlich geprüfter Polizei-Bergführer.
Orientierung mit GPS
Weil Polizeieinsätze am Berg aber freilich "kein Spaziergang oder Wanderausflug“ sind, wurde den Teilnehmern die richtige Führungstechnik am Gletscher sowie auf Felsgraten vermittelt. An den Schlechtwettertagen mit Wintereinbruch und Schnee stand neben den theoretischen Inhalten auch der Umgang und die Orientierung mit GPS-Geräten oder verschiedenste Rettungstechniken zur Spaltenbergung am Programm. Alle Teilnehmer bestanden laut Wagner die kommissionelle Prüfung.
Das Jahr 1927 gilt mit der ersten Ausbildungsvorschrift als Geburtsstunde der Alpinpolizei in Österreich. Bundesweit gibt es aktuell 29 Alpine Einsatzgruppen mit 535 AEG-Beamten, 35 davon in Niederösterreich. Neben der gesundheitlichen und körperlichen Eignung müssen ausgebildete Polizisten ein Auswahlverfahren für den Alpindienst positiv durchlaufen.
Vollkasko-Mentalität nimmt zu
Der Einstieg umfasst vier Ausbildungskurse mit 44 Tagen im Sommer und Winter (Basis, Skitourengelände, Fels, Eis/Hochalpines Gelände) und endet jeweils mit kommissioneller Abschlussprüfung. Im zweiten Turnus erfolgt die Ausbildung zum Hochalpinisten. Nach einem Anwärterjahr sind weitere zwei Jahre an Kursen (Hochtour, Sportklettern, Lawinenkurs, Steileisklettern, etc.) nötig, um die Prüfung zum staatlichen Polizei-Bergführer abzulegen.
Die AEG-Beamten sind besonders seit Corona massiv gefordert. Die Pandemie hat das Freizeitverhalten der Österreicher deutlich verändert. Es herrsch eine gewisse Vollkasko-Mentalität, meint Wagner. Es werde geklettert und gewandert, bis nichts mehr geht. Danach werde einfach Hilfe gerufen und gehofft, dass der Hubschrauber kommt, heißt es bei der Alpinpolizei.