Chronik/Niederösterreich

Filmchronisten als Seelenretter der Regionen

Da standen plötzlich die Filmchronisten am Hof der Bäuerin Vroni Wagner in Annaberg und interessierten sich für die uralten Gerätschaften zur bäuerlichen Flachsverarbeitung. Also baute Wagner auf einem Feld wie früher wieder Flachs an, um dann im Film zeigen zu können, wie aus Flachs Leinen und damit die Kleidung der Bauern gemacht wurde.

Seit zwei Jahren bestücken die Filmchronisten als erstes Bürgermedienprojekt im ländlichen Raum eine einzigartige Schatzkammer mit wertvollen Exponaten. In 16 Gemeinden des Pielach- und Traisentals sowie Teilen des Ötscherlandes waren sie unterwegs, um mündlich überliefertes Wissen, einzigartige Geschichten oder längst nicht mehr gebräuchliche Arbeitstechniken in Filmen für die Nachwelt zu sichern.

Neustart

Ab Anfang Oktober sind sie mit ihrem unverwechselbaren mobilen Filmstudio entlang der Eisenstraße unterwegs, um die Seele der Region zu erforschen und zu dokumentieren.

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Über 70 Filme wurden bisher in der Leaderregion Mostviertel-Mitte fertiggestellt, 20 weitere befinden sich in der Finalisierung. Und so können in der Mediathek www.filmchronisten.at jederzeit authentische Dokumentationen abgerufen werden. In Hohenberg nahmen Gernot und Johanna Schrittwieser das regionale Filmteam mit, um das umweltschonende Holzrücken mit ihrem Noriker im winterlichen Wald aufzunehmen.

Ob Fußballlegende Toni Pfeffer oder der 95-jährige Anton Schwarzenbacher, der sich an seinen Weltkriegeinsatz in Russland, wo er auch viele Fotos schoss, erinnert, ein altes Bergbauernpaar in Türnitz oder die Geschichte zum Ski-Pionier Mathias Zdarsky – die gespeicherten Zeitdokumente lassen nicht nur Völkerkundler schwärmen.

Informationsmangel

In der Fülle an Informationen und Filmen, die tagtäglich auf die Menschen einprasseln, habe ihn das Missverhältnis gestört, mit dem regionales Wissen unterrepräsentiert war, schildert Ernst Kieninger. Er ist im Zivilberuf Geschäftsführer des Filmarchivs Austria in Wien und initiierte das Projekt.

Während in den Tälern von Traisen und Pielach nun weitere fünf Gemeinden an der Rettung unwiederbringlicher Raritäten in ihrer Geschichte retten lassen wollen, haben in der benachbarten Leaderregion Eisenstraße ebenfalls fünf Gemeinden dieses Ansinnen. Die bewährte Vorgangsweise wird beibehalten. In der ersten Projektphase nehmen die Filmchronisten im Ortszentrum an einem bestimmten Tag mit ihrem Bus Aufstellung. Die Gemeindebürger werden gebeten dort mit ihren Ideen, Hinweisen oder alten Fotos und Filmen vorstellig zu werden. Das Bildmaterial wird digitalisiert und somit für die Nachwelt gesichert, erklärt Eisenstraßen-Projektmanager Josef Reisinger.

Auswahl

Aus dem Angebot werden schließlich die interessantesten und originellsten Vorschläge ausgewählt, um über sie die individuellen Dokus zu drehen. „Die Filmproduzenten dafür wählen wir immer aus der betreffenden Region aus. Und anmoderiert werden die Filme von Talenten, die wir in den Gemeinden suchen“, schildert Kieninger.

„Beim ersten Kontakt sind die Leute noch zögerlich. Das gibt sich rasch, und wenn dann die fertigen Filme in den Gemeinden präsentiert werden, sind die Säle zum Bersten voll“, berichtet Regionsobmann Anton Gonaus aus Kirchberg an der Pielach.

Der Fundus in der Eisenstraßen-Region, in der nun die fünf Gemeinden St. Anton/Jessnitz, Gaming, Göstling, Scheibbs und Lunz/See ab Anfang Oktober den Start machen, sei spannend und unerschöpflich, rechnet Ernst Kieninger. Das Projekt läuft bis März 2024. 22 Filme sollen gedreht werden.