Blindes Vertrauen als Garant für Goldmedaillen bei Paralympics
Von Patrick Wammerl
Ein altes Bauernhaus auf dem Eichberg bei Gloggnitz am Fuße des Semmering. Im Vorraum hängen rund 50 Medaillen, sauber geschlichtet an der Wand. „Das sind nur die von den Staatsmeisterschaften“, lächeln die 16-jährigen Johannes Aigner und seine Zwillingsschwester Barbara. Die wirklich wertvollen tragen beide – breit grinsend – um den Hals.
Johannes stellt stolz zweimal Gold (Slalom, Parallelevent) und zweimal Silber (RTL, Super-G) zur Schau, Barbara eine Goldmedaille im RTL. Gelungen ist ihnen dieses sportliche Kunststück vor wenigen Tagen bei ihrem ersten Antreten bei einer Para-Ski-Weltmeisterschaft. Stattgefunden hat das sportliche Großereignis im norwegischen Lillehammer.
Als wären die Titel noch nicht genug, kürte sich Johannes Aigner zusammen mit seinem Vorausfahrer Matteo Fleischmann auch noch zum Gesamtweltcupsieger bei den sehbehinderten Herren.
Die Leidenschaft und Liebe zum Skisport scheint bei der Familie ebenso in den Genen zu liegen wie ein angeborener Grauer Star. Mutter Petra Aigner, selbst sehbeeinträchtigt, wusste anfangs nichts davon. Die älteste Tochter Irmgard (24) und ihre Schwester Elisabeth (23) kamen ohne Sehschwäche zur Welt. Nach der Geburt des dritten Kindes wird bei der heute 18-jährigen Veronika Aigner ein angeborener Grauer Star diagnostiziert. Auch eine Operation kann die Sehbeeinträchtigung nicht stoppen.
Skihauptschule
Doch das kleine Mädchen ließ sich damals nicht davon abhalten, ihren älteren Schwestern nachzueifern. „Mit zwei Jahren ist sie schon auf Ski gestanden“, schildert die Mutter. Und das mit nur ein paar Prozent Sehleistung. Trotz des verminderten Sehvermögens gewann sie Kinderrennen und schaffte das Unmögliche. „Sie wurde als beeinträchtigtes Kind in der Skihauptschule Lilienfeld genommen“, erzählt die Mutter. NÖ-Skiverbandspräsident Wolfgang Labenbacher hatte sich dafür stark gemacht.
Mit Schwester Elisabeth als Vorausfahrerin fand Veronika die ideale Partnerin. Heute zählen sie mit 15 Weltcup-Siegen zu den schnellsten Duos im Para-Skisport. Und die jüngeren Zwillinge stehen den älteren Geschwistern um nichts nach. „Wir sind in das alles hinein gewachsen. Der Skikurs und das Training waren immer eine riesige Gaudi“, sagt Johannes.
Mutter Petra erinnert sich zurück, wie sich ihr Mann regelrecht „zerrissen“ hat, um die Kinder jede Woche zu den Schüler- und Jugendrennen zu kutschieren. Sie selbst darf nicht Auto fahren, was die Sache nicht einfacher macht. Dazu kamen immer finanzielle Sorgen. Manche Saisonen schlugen sich mit 60.000 bis 70.000 Euro zu Buche. „Ich weiß heute gar nicht mehr, wie wir das alles geschafft haben. Zu Saisonbeginn haben wir 32 Paar Ski abgeholt“, erinnert sich die Mama. Bei Parasportlern würden die Sponsoren nicht unbedingt Schlange stehen.
Während ÖSV-Weltcupsieger im „normalen“ Skisport von ihren Erfolgen hervorragend leben können, müssen die Aigners trotz der vielen Titel und Medaillen um jeden Cent kämpfen. Das große mediale Echo nach der erfolgreichen WM und vor den Paralympics in Peking stimmt die Familie aber zuversichtlich, vielleicht doch noch Sponsoren an Land zu ziehen.
Teamwork
Aber was macht ihren Erfolg überhaupt aus? „Man muss als Team auf der Piste funktionieren“, erklären Johannes und Barbara, die auf die Kommandos von Vorausläuferin Klara Sykora – der Tochter des Ex-Skirennläufers Thomas Sykora – hört.
Es gehe um „blindes Vertrauen“. Via Bluetooth sind Rennläufer und Guide mit Funk verbunden. „Wichtig ist die Harmonie und Kommandos, beispielsweise wann man den Schwung ansetzt, oder wenn Unregelmäßigkeiten auf der Piste sind“, schildert Johannes Aigner. Das Training erfolgt immer mit Guide. Wenn es frischen „Powder“ gibt, zieht es den 16-jährigen Draufgänger mit Vorausfahrer Matteo gerne auch auf Tiefschneeabfahrten.
Zwillingsschwester Barbara ist da weniger wagemutig. „Im Tiefschnee erkenne ich meine Füße nicht mehr und es fehlt mir der Kontrast“. Auf der brettelharten Piste fühlt sie sich deutlich wohler.