Figl, Chruschtschow und die Kukuruz-Wette
Von Georg Markus
Es war an einem heißen Julitag des Jahres 1960, als der frühere Bundeskanzler und Außenminister Leopold Figl in sein Elternhaus fuhr, einem mehr als zweihundert Jahre alten Bauernhof im Dorf Rust im Tullnerfeld, der damals von einem seiner Brüder bewirtschaftet wurde. In seiner Begleitung befand sich Nikita Chruschtschow, der gerade auf Staatsbesuch in Österreich war und es sich nicht nehmen ließ, seinen alten Freund Figl – den er bei den Verhandlungen zum österreichischen Staatsvertrag kennengelernt hatte – auf dem Vierkanthof seiner Familie in Rust (am heutigen Leopold-Figl-Platz) zu besuchen. Das war vor genau sechzig Jahren.
Figl ließ den Tisch decken, Brot, Wein und Geselchtes wurden serviert. Beim anschließenden Rundgang durch die Stallungen fragte der Kreml-Chef, ob das Vieh gesund sei und was die Familie Figl auf dem 35 Hektar großen Grund anbaue.
Erdäpfel und Kukuruz
„Zuckerrüben, Weizen, Erdäpfel, Kukuruz“, erklärte Leopold Figl, der damals Präsident des österreichischen Nationalrates war.
„Kukuruz?“, fragte Chruschtschow.
Darauf Figl: „Ja, Mais, das Land hier ist die ideale Gegend für den Kukuruzanbau.“
„Mag sein“, erwiderte Chruschtschow, „aber in unseren Kolchosen wächst mehr Mais. Wollen wir wetten? Ich schicke Ihnen sowjetischen Mais zum Anbau, mit dem Sie den zehnfachen Ertrag haben werden. Wenn das nicht der Fall ist, bekommen Sie von mir eine Sau. Ist der Ertrag mehr als zehn Mal so groß, müssen Sie mir ein Schwein geben.“
Leopold Figl nahm die Wette an. Am nächsten Tag las man in allen Zeitungen von der Kukuruz-Wette des sowjetischen Ministerpräsidenten, und nach einigen Wochen traf bei Figl tatsächlich per Luftfracht russischer Spitzenmais ein.
Agrarexperten
Ein Jahr später reiste der sowjetische Botschafter Awilow nach Rust im Tullnerfeld, um in Begleitung sowjetischer Agrarexperten den Figl-Hof zu inspizieren. Es stellte sich heraus, dass der Ertrag des sowjetischen Kukuruz tatsächlich höher war als beim „kapitalistischen Mais“, aber von der zehnfachen Menge konnte keine Rede sein. Während sich Figl als Sieger sah und das gewonnene Schwein mit Freude erwartete, wurde das Ergebnis vonseiten der sowjetischen Delegation – vermutlich aus Angst vor einem Donnerwetter aus dem Kreml – nicht akzeptiert. Figl habe damals von Körnermais gesprochen, der einen geringeren Wassergehalt hätte und daher leichter sei, wurde argumentiert.
Beide Seiten weigerten sich, die vereinbarte Sau zu schlachten.
Glücklicherweise war der Staatsvertrag zu diesem Zeitpunkt bereits sechs Jahre zuvor unterzeichnet worden. Wer weiß, vielleicht wäre ihm die kleine Episode noch im Weg gestanden.