Häusliche Gewalt: „So viele Hochrisikofälle wie noch nie“
Es ist stiller geworden in den vergangenen Monaten. Das öffentliche Leben wurde Corona-bedingt immer wieder schrittweise zurückgefahren. Anders verhielt es sich hinter verschlossener Tür: Die Zahl schwerer Übergriffe in sozialen Beziehungen ist gestiegen.
„Wir haben dieses Jahr so viele Hochrisikofälle wie noch nie“, sagt Karin Gölly, Leiterin des Gewaltschutzzentrums Burgenland. Das sind jene Fälle, in denen eine Person – fast immer handelt es sich um Frauen – mit dem Tod oder einer schweren Verletzung bedroht wird.
Gölly fordert deshalb ein zweites Frauenhaus und „sichere Wohnungen“ für das Burgenland im Süden.
23 Hochrisikofälle wurden im Burgenland heuer registriert (mit Stand 6. Dezember, Anm.), 16 waren es im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Schon während des ersten Lockdowns im Frühjahr hätten die – vor allem weiblichen Klienten – oft lange zugewartet, ehe sie Hilfe geholt hätten, sagt Gölly.
„Die wirtschaftliche Situation hat sich mit dem zweiten Lockdown verschärft“, das habe bei manchen das Fass zum Überlaufen gebracht. „Wir haben die Vermutung, dass in Zeiten eingeschränkter Möglichkeiten länger gewartet wird, bis Hilfe geholt wird.“
Zugenommen hat aber nicht nur die Gewalt durch den Partner. Auch Kinder und Jugendliche werden öfter zu Opfern. „Wenn die Schulen und Kindergärten geschlossen haben, fallen mögliche Verletzungen auch nicht auf.“
Auch die Fälle von sexueller Gewalt an Kindern sind mehr geworden, sagt Gölly. Aber auch wenn Kinder nicht unmittelbar von körperlicher Gewalt betroffen seien, haben Vorfälle, die sie in der Familie miterleben - etwa, wenn die Mutter Opfer von Gewalt wird - für sie schwerwiegende Folgen.
"Sichere Wohnungen" für den Landessüden
Ein Problem bei der Betreuung von Gewalt betroffener Frauen sieht Gölly in manchen Fällen der geografischen Situation geschuldet. Während es im Landesnorden ein Frauenhaus gibt, würde eine solche Einrichtung dringend auch für das Südburgenland benötigt. Denn aus den südlichen Bezirken nach Eisenstadt zu fahren, sei unmöglich.
„Die Frauen müssten den Job aufgeben, das wäre existenzbedrohend und würde die Situation verschärfen.“ Es brauche nicht unbedingt die „große Infrastruktur eines Frauenhauses, aber zumindest sichere Wohnungen, in denen wir Klientinnen betreuen könnten“.
Aus dem Büro von Soziallandesrat Leonhard Schneemann verweist man auf die bestehenden Angebote mit dem Frauen- und dem Sozialhaus. „Uns ist nicht bekannt, dass Bedarf an einem zweiten Frauenhaus oder Wohnungen besteht“, heißt es. Man sei aber zu Gesprächen bereit.
Neuer Betreiber für Frauenhaus und Sozialhaus
Seit 2004 betreibt der Verein „Die Treppe - Verein für betreutes Wohnen“ ein Frauenhaus in Eisenstadt und ein Sozialhaus in Oberwart. Um beide privat geführten Einrichtungen langfristig finanziell abzusichern, werden sie mit 1. Jänner in den Psychosozialen Dienst (PSD) eingegliedert, gaben Landeshauptmannstellvertreterin Astrid Eisenkopf und Landesrat Leonhard Schneemann (beide SPÖ) am Montag in Eisenstadt bekannt. Das Land übernimmt die jährlichen Kosten von 540.000 Euro.
Das Frauenhaus verfügt über zehn Wohnplätze für Frauen. Für Kinder steht eine variable Anzahl von Plätzen zur Verfügung. Ziel ist es, von häuslicher Gewalt bedrohten Frauen und ihren Kindern unmittelbar Schutz zu geben, sie von Angst zu befreien sowie gemeinsam neue Lebensperspektiven zu erarbeiten und sie zurück in ein selbstständiges Leben zu begleiten.
Platz für Familien und Frauen
Das Sozialhaus Burgenland - „Betreutes Wohnen“ in Oberwart verfügt über Wohnplätze für drei Familien und für acht Frauen sowie über ein Krisenzimmer. Das Angebot richtet sich an Frauen mit Kindern, an alleinstehende Frauen und an Familien im Burgenland, die aufgrund ihrer sozialen Notlage Hilfe und Unterstützung benötigen.
„Durch die Sicherung der Finanzierung haben wir auch die hohe Qualität der Betreuung dauerhaft gewährleistet. Für die Mitarbeiter laufen die bestehenden Verträge unverändert weiter", erklärt Landesrat Schneeman.
"Massiver Anstieg an Beratungen"
Gewalt, insbesondere häusliche Gewalt, sei gerade in Zeiten von Corona eine große Herausforderung. Die Frauenberatungsstellen hätten nach dem ersten Lockdown einen massiven Anstieg an Beratungen verzeichnet, berichtete LH-Stv. Eisenkopf.
„Daher ist es jetzt noch wichtiger, das Thema Gewalt verstärkt auf dem gesellschaftlichen, aber auch politischen Radar zu haben. Wir wollen Gewaltpräventionsprogramme weiter stärken und arbeiten derzeit ressortübergreifend - Frauen, Familien, Bildung, Soziales - an einer Gewaltpräventionsstrategie.“
"Ohne belastenden Druck"
„Es ist ein gutes Gefühl, die Häuser an den Psychosozialen Dienst übergeben zu können. Damit ist die Arbeit künftig ohne den belastenden Druck möglich, Jahr für Jahr finanzielle Unterstützer finden zu müssen“, stellte Gabriele Arenberger, Präsidentin des Vereins „Die Treppe“, fest.
2019 fanden 68 Personen, davon 37 Frauen und 31 Kinder, im Frauenhaus Burgenland Schutz und Unterkunft. Die Bleibedauer reichte von nur ein bis drei Tagen bis zu einem Jahr, wobei sie sich im Gesamtdurchschnitt im Steigen befinde.
Im Sozialhaus Oberwart erhielten 2019 insgesamt 55 Personen Hilfe und Unterstützung. Dabei handelte es sich um 28 Frauen mit 25 Kindern und eine Frau mit Mann. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer lag bei 50 Tagen.