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„Volksgruppen waren im Burgenland immer bevorzugt“

Das 100-Jahr-Jubiläum der österreichischen Bundesverfassung in diesem Jahr hat Martin Ivancsics zum Anlass genommen, um auf die Situation der sechs anerkannten Volksgruppen im Land aufmerksam zu machen. Seit 24 Jahren ist der Burgenländer Sprecher der Konferenz der Volksgruppenbeiräte. „Bei der Gründung haben wir ausgemacht, dass das Amt im Rotationsprinzip wechselt. Diese Rotation dauert aber anscheinend ungefähr 30 Jahre, denn ich bin es noch immer“, scherzt er.

„Sind ein Sprachrohr“

Den Wunsch, die Konferenz auch offiziell gesetzlich zu verankern, konnte man bisher noch nicht umsetzen. „Aber immerhin gibt es auf Initiative der Grünen schon sehr konstruktive Gespräche mit der Bundesregierung“, ist Ivancsics optimistisch. „Wir werden gehört, sind zu einem echten Sprachrohr der Volksgruppen geworden.“

Finanziell sei die Unterstützung für die Anliegen und Projekte zuletzt nicht mehr zufriedenstellend gewesen. Die Förderung betrug 3,4 Millionen Euro pro Jahr für alle sechs Volksgruppen zusammen. „Diese Summe hatte sich seit 26 Jahren nicht verändert, war also, wenn ich die Index-Steigerungen seither zugrunde lege, nur mehr die Hälfte wert“, so Ivancsics. Dass die geforderte Verdoppelung ganz aktuell am Donnerstag genehmigt wurde, freut ihn daher.

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Benötigt wird das Geld unter anderem, um die zweisprachige Schulbildung mit entsprechenden Lernmaterialien zu unterstützen. Im Burgenland ist diese Form der Zweisprachigkeit – anders als im Rest Österreichs – zur Selbstverständlichkeit geworden. „Die Volksgruppen waren im Burgenland immer bevorzugt“, sagt Ivancsics. „Hier hat zum Beispiel jede wichtige Funktion schon einmal ein Kroate ausgeübt – bis hin zum Landeshauptmann. Das Zusammengehörigkeitsgefühl liegt daran, dass hier jede Gruppe irgendwann einmal Minderheit war. Zuerst die Kroaten, dann die Ungarn. Außerdem baute man über Jahrhunderte nach Verwüstungen das Zerstörte immer gemeinsam wieder auf.“

Dialekte verschwinden

Sorgen bereitet dem Volksgruppen-Sprecher, dass viele lokale Dialekte langsam verschwinden. Einerseits durch Zuzug. „In Parndorf zum Beispiel gibt es heute genausoviele Kroaten wie vor 50 Jahren, aber der Anteil an der Bevölkerung ist von 65 auf 25 Prozent zurückgegangen, weil so viele neue Einwohner zugezogen sind“, weiß Ivancsics. „In gemischtsprachigen Haushalten wird mit Kindern fast immer Deutsch gesprochen. Dadurch erodieren die Dialekte. Rund 15.000 Burgenland-Kroaten leben mittlerweile außerdem in Wien, wo Kinder keinen Anspruch auf zweisprachigen Unterricht haben. Hier fordert Ivancsics eine Gesetzesänderung: „Die Mobilität ist größer geworden, das Anrecht auf Unterricht in Kroatisch oder Ungarisch darf nicht nur lokal auf das Burgenland begrenzt bleiben.“ Mit einem der größten Projekte seiner Geschichte kämpft das „Kroatische Kultur- und Dokumentationszentrum“ gegen das Verschwinden der örtlichen Dialekte. In fast allen Orten mit kroatischem Bevölkerungsanteil wurden sie in mehr als 300 Stunden Interviews aufgenommen, schriftlich festgehalten und schließlich Sprachwissenschaftlern zur weiteren Analyse zur Verfügung gestellt.

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In Zusammenarbeit mit dem Theresianum Eisenstadt hat man Rezepte ehemaliger kroatischer Dienstmädchen aus der Kurrentschrift transkribiert und in Buchform herausgegeben. In einer weiteren Veröffentlichung wurden zweisprachige Hinweistafeln im Burgenland dokumentiert. „Das war hier ja im Gegensatz zu Kärnten nie ein Streitthema“, sagt Ivancsics. Schon seit dem 17. Jahrhundert gab es solche zweisprachigen Tafeln im Burgenland. Etwa auch zu jener Zeit entwickelten sich die burgenland-kroatischen Dialekte.

Während Ungarn und Kroaten zweisprachig unterrichtet wurden, war die Situation für die Roma im Burgenland schwieriger, betont Ivancsics: „Sie waren stärker von Ausgrenzung betroffen. Vor 30 Jahren waren 80 Prozent aller Roma-Kinder Sonderschüler, dann wurde ihre Ausbildung gefördert und heute gibt es weniger Sonderschüler als unter deutschsprachigen Kindern.“

Finanzielle Sorgen

Sorgen bereitet dem Volksgruppen-Sprecher aktuell die Situation der Medien der Kroaten, Slowenen, Ungarn, Tschechen, Slowaken und Roma. „Sie stehen aus finanziellen Gründen bald vor der Entscheidung, ob sie überhaupt noch bestehen bleiben“, sagt Ivancsics. Auch die mehr als hundertjährige Komensky-Schule für slowakischsprachige Kinder in Wien ist in ihrem Bestand massiv bedroht. „Das ist für mich ein Kulturdenkmal und muss daher unbedingt erhalten werden“, fordert er.

„Natürlich geht nicht alles auf einmal, das derzeit in Vorbereitung stehende Budget 2021 wäre aber eine gute Gelegenheit, den ersten deutlichen Schritt zu setzen“, hofft Ivancsics. „Danach müssten sehr rasch auch Lösungen für die Verbesserungen im zweisprachigen Bildungsbereich gesucht werden, um die nachhaltige Stärkung der Mehrsprachigkeit zu erreichen.“