Mikrobiologin Christa Schleper erhält den Austro-Nobelpreis 2022
Der höchstdotierte Wissenschaftspreis des Landes - der oft als "Austro-Nobelpreis" bezeichnete Wittgenstein-Preis - geht heuer an die Mikrobiologin Christa Schleper von der Universität Wien. Die im deutschen Oberhausen geborene 59-jährige Forscherin erhielt am Mittwochabend die mit 1,5 Mio. Euro dotierte Auszeichnung u.a. für die Erforschung der Entwicklung komplexen Lebens am Beispiel von Archaeen. Sechs Nachwuchsforscher bekamen jeweils mit bis zu 1,2 Mio. Euro dotierte START-Preise.
Der Wittgenstein-Preis soll exzellenten Forschern "ein Höchstmaß an Freiheit und Flexibilität bei der Durchführung ihrer Forschungstätigkeit garantieren, um eine außergewöhnliche Steigerung ihrer wissenschaftlichen Leistungen zu ermöglichen". Die Auszeichnung wird vom Bildungsministerium finanziert und vom Wissenschaftsfonds FWF vergeben, die Preisträger werden von einer Jury ausländischer Wissenschafter ausgewählt.
Christa Schleper leitet das Department für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie und die Archaea-Biologie- und Ökogenomik-Forschungsgruppe an der Universität Wien. Nach Wien wechselte die zuletzt mehrfach in der Liste der "Highly Cited Researchers" (der weltweit einflussreichsten Forscher, Anm.) erwähnte Forscherin im Jahr 2007. Für Aufsehen sorgten in den vergangenen Jahren Entdeckungen von Schleper und Kollegen, die das Verständnis der Entwicklung des Lebens veränderten.
Die Neo-Wittgensteinpreisträgerin machte sich dafür auch zu unwirtlichen Orten der Erde auf und widmete sich als eine der ersten intensiv den Archaeen (Einzeller). Diese Einzeller sind an besonders extreme Biotope angepasst. Sie können teilweise bei sehr hohen Temperaturen, extremen pH-Werten, hohen Salzkonzentrationen oder hohen Drücken leben. Im Jahr 2015 sorgten Schleper und Kollegen etwa im Fachjournal Nature mit der Entdeckung der nächsten lebenden Verwandten der "höheren", sprich einen Zellkern besitzenden Lebewesen (Eukaryonten), für Aufsehen. Gefunden wurden die urtümlichen Einzeller namens Loki-Archaeen in Proben aus 3.000 Metern Meerestiefe in der Nähe eines Hydrothermalfeldes namens "Loki's Castle" nördlich von Island.
1,5 Millionen. Der Nobelpreis wirkt mickrig daneben: Kaum eine Million Euro steht heuer 1,5 Millionen gegenüber. Der Wittgenstein-Preis liegt zumindest monetär vorne. Trotzdem gibt es gravierende Unterschiede. Während der Nobelpreis sehr oft an alte Herren am Ende ihrer Laufbahn geht, ist der höchstdotierte heimische Preis, der seit 1996 vergeben wird, oft Initialzündung für wissenschaftliches Arbeiten, das sich im internationalen Vergleich nicht verstecken muss.
- Benannt nach dem Wiener Philosophen Ludwig Wittgenstein (1889 bis 1951), werden die Forscher von Ex-Wittgenstein-Preisträgern, Rektoren, etc. nominiert, eine Wissenschafter-Jury aus dem Ausland (mit zwei Nobelpreisträgern) trifft die Wahl. Der Preisträger erhält von Wissenschaftsministerium und Forschungsförderungsfonds (FWF) 1,5 Millionen Euro.
- Die Mittel sind streng gewidmet und müssen in die Forschung fließen.Weiters wurden sechs Nachwuchs-Preise (START) vergeben. Mit dem Geld sollen Jungforscher eigene Projekte starten. Das Geld scheint gut angelegt, denn ein Wittgenstein-Preisträger beschäftigt im Rahmen seiner Projekte etwa fünfzehn und ein Start-Preisträger zehn Mitarbeiter.
- Unter den bisherigen Preisträgern sind klingende Namen wie Mikrobiologe Michael Wagner (2019), Genetiker Josef Penninger (2014), Meeresbiologe Gerhard Herndl (2011), Demograf Wolfgang Lutz (2010), Molekularbiologin Renée Schroeder (2003) und Sprachwissenschafterin Ruth Wodak (1996).
Schon im Jahr 2011 identifizierte sie ein Archaeon in näher liegenden Bodenproben rund um das damalige Institut in Wien-Alsergrund. In der Fachzeitschrift PNAS zeigten Schleper und Kollegen, dass "Nitrososphaera viennensis" am Stickstoff-Abbau in Böden beteiligt ist.
Für die Erforschung dieser früher oftmals etwas vernachlässigten Lebewesen erhielt die Mutter zweier Kinder im Jahr 2016 einen "Advanced Grant" des Europäischen Forschungsrates (ERC) in der Höhe von rund 2,5 Millionen Euro. Die nunmehrige Zuerkennung des Wittgenstein-Preises ist für sie nun "etwas ganz, ganz Besonderes, womit ich auch nicht gerechnet hätte", sagte Schleper im Gespräch mit der APA. Schon seit ihrer Diplomarbeit beschäftigt sich die Wissenschafterin mit Mikroorganismen aus vulkanischen Quellen. "Das hat mich wahnsinnig gereizt - besonders auch, weil ich da hinreisen wollte."
Das Forschungsgebiet der Archaeen habe seither eine unglaubliche und spannende Entwicklung genommen: "Darum bin ich auch dabei geblieben." Die Stärke des von ihr maßgeblich mit aufgebauten Wiener Labors sei, dass man viel im Feld arbeite, molekularbiologische Studien anschließe, aber auch große Erfolge bei "der Kultivierung von sehr schwierig zu züchtenden Organismen" erzielte.
So eröffnen die überraschend komplexen Loki-Archaeen ein Fenster in die frühe Evolution und die Entwicklung der ersten Zellen, wie man sie auch in unserem Körper findet. Dieses "Missing Link" oder Bindeglied in der Entwicklungsgeschichte war vermutlich der Startpunkt für komplexere Lebensformen. Für Schleper ist die Frage, wie es letztlich dazu gekommen ist, "eine der größten Fragen in der Biologie". An der Klärung arbeite man mit den Wittgenstein-Mitteln nun weiter.
Den Stickstoffkreislauf besser verstehen
Als zweiter großer Forschungsschwerpunkt widmet man sich Archaeen wie Nitrososphaera viennensis. Diese entpuppten sich als sehr wichtig, um den durch von Menschen in großen Mengen in die Umwelt eingebrachten Kunstdünger angeheizten Stickstoffkreislauf besser zu verstehen. Das spiele letztlich auch für die Landwirtschaft eine Rolle. Da zur Zeit etwa 70 Prozent des Düngers ungenützt ins Grundwasser gelangen, überlege man etwa, wie die Aktivität dieser Archaeen gesteuert werden kann. Dann könnte man womöglich mit weniger Düngemittel auskommen, was in der Folge auch helfen würde, die Bildung des starken Treibhausgases Lachgas verringern, erklärte die Forscherin.
Insgesamt gebe es in der Mikrobiologie noch "viele weiße Flecken". Durch neue genetischen Analysemethoden, eröffnen sich nun neue Horizonte in der Ökologie. Bei den Archaeen habe man gerade erst eine Tür geöffnet, hinter der "noch ganz viel zu erforschen ist".
Nach den in Sachen Feldforschung durch die Pandemie sehr eingeschränkten vergangenen Jahren möchte die Wissenschafterin mit Jungforschern nun wieder viel in die Natur gehen, um neues Probenmaterial zu sammeln. Dass man durch den Preis auch mehr risikoreichere Forschung machen könne, sei für die Entwicklung von Nachwuchswissenschaftern von größter Bedeutung. Als junger Forscher brauche man auch den Mut, "Wege zu gehen, die nicht von allen gegangen werden", und sollte "auch ein bisschen frech sein", so Schleper, die seit einigen Jahren eine Vorlesung zur Klimakrise organisiert und sich auch in der Wissenschaftsvermittlung an Schulen engagiert.
Gerade im Bereich der Molekularbiologie habe sich Wien in den vergangenen Jahrzehnten als einer der führenden Standorte etabliert. "Ich hoffe, dass auch in Krisenzeiten der Fokus in Österreich auch stark genug auf der Grundlagenforschung bleibt", sagte Schleper.