Migration und Schule: Was in anderen Ländern besser läuft
Von Ute Brühl
Kinder aus Migrantenfamilien tun sich in der Schule oft schwer. Das ist nicht in allen Ländern so. Woran das liegt, wollen der Soziologe Reinhard Schunck von der Bergischen Universität Wuppertal und die Sozialwissenschafterin Janna Teltemann von der Universität Hildesheim (D) wissen. Sie starten jetzt gemeinsam eine Untersuchung, in der er Schulleistungsstudien wie PISA vergleicht.
KURIER: Was unterscheidet die Länder und worauf achten Sie in der Studie?
Reinhard Schunck: Die Länder unterscheiden sich dadurch, wie ihre Bildungssysteme ausgestaltet sind, und wie sie Migration steuern. Beides hat einen Einfluss darauf, wie sich der Migrationshintergrund auf den Bildungserfolg auswirkt.
Gibt es Daten, die zeigen, wie unterschiedlich Lernerfolge von bildungsfernen Migranten sind?
Die gibt es. Allerdings ist das Bild des bildungsfernen Migranten verkürzt. In modernen Gesellschaften ist Bildung ein sehr wichtiges Gut. Es gibt kaum Eltern – mit oder ohne Migrationshintergrund –, denen der schulische Erfolg ihrer Kinder unwichtig ist. Diese Eltern haben sogar häufig sehr hohe Bildungsziele für ihre Kinder – die Kinder selbst übrigens auch. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass sie in der Lage sind, diese Ziele umzusetzen. Eltern fehlen oft die Ressourcen, um ihre Kinder zu unterstützen, und sie wissen weniger, wie das Schulsystem funktioniert – sie haben etwa keine Ahnung, welche Fähigkeiten nötig sind, um die Matura zu erreichen.
Welche Faktoren könnten den Lernerfolg negativ beeinflussen?
Das sind vor allem drei Faktoren: Diese Eltern verfügen im Durchschnitt über geringere Bildungsqualifikationen, sie gehen niedrigeren beruflichen Tätigkeiten nach und sie sprechen eine andere Muttersprache als Deutsch. Das wirkt sich wiederum auf die sprachlichen Fähigkeiten der Kinder aus.
Ist das überall so?
Es gibt Länder, in denen Kinder mit Migrationshintergrund besser abschneiden als ohne. Da spielt sicher auch eine Rolle, wie die Einwanderung an gestaltet ist. Wo Einwanderung gezielt gesteuert wird, schneiden diese Schüler und Schülerinnen teilweise sogar besser ab. In Kanada gibt es beispielsweise ein Punktesystem. Je mehr Punkte ein Bewerber oder eine Bewerberin hat, desto eher erhält er oder sie eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis. Eine gute Ausbildung, die Beherrschung der kanadischen Sprachen, all das gibt Punkte. Es ist dann nicht wirklich überraschend, wenn die Kinder dieser Einwanderer in der Schule besonders gut sind. Aber auch wenn wir das berücksichtigen zeigen sich noch große Unterschiede.
Die Studie zu Bildungssystemen und migrationsspezifischer Bildungsungleichheit bezieht alle Länder ein, die in den letzten 25 Jahren an einer der großen Schulleistungsstudien teilgenommen haben. Neben der sehr bekannten PISA-Studie, die die Kenntnisse und Fähigkeiten von 15-jährigen Schülern und Schülerinnen untersucht, gibt es zwei weitere große Schulleistungsstudien. Eine untersucht die Lesefähigkeiten von Schülern und Schülerinnen am Ende der 4. Klasse - das ist die sogenannte PIRLS-Studie. Und die andere, die TIMSS-Studie, testet Mathematikfähigkeiten.
An PISA haben zuletzt 79 Länder teilgenommen. Da die Studienautoren an einem Zeitvergleich interessiert sind, werden vor allem Länder untersuchen, die in mehreren Jahren an den Studien teilgenommen haben, dadurch wird sich die Untersuchungsstichprobe etwas verkleinern, in jedem Fall sind aber alle OECD-Länder in die Untersuchung einbezogen.
Haben strukturelle Unterschiede – wie zum Beispiel Gesamtschule versus differenziertem Schulsystem – einen Einfluss?
Befürworter eines differenzierten Schulsystems argumentieren, dass homogene Lerngruppen zu besseren Leistungen der Schüler führen, weil sich Lehrplan und Unterricht besser anpassen lassen. Kritiker betonen, dass eine frühe Trennung zu einer Verstärkung von sozialer Ungleichheit führt, da Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern öfter in Schulen mit niedrigerem Leistungsniveau landen.
Und was stimmt jetzt?
Die Ergebnisse sind nicht eindeutig. Viele Studien weisen jedenfalls daraufhin, dass sich Leistungsunterschiede bereits im Volksschulalter ausbilden und sie durch die Differenzierung des Schulsystems nicht unbedingt verstärkt werden. Gleichzeitig wissen wir, dass Kinder mit Migrationshintergrund im Kindergarten unterrepräsentiert sind, obwohl sie wahrscheinlich am meisten profitieren würden.
Welche Rolle spielt die Ausstattung der Schule?
Allgemein gesagt gilt: viel hilft viel. Wobei immer die Frage ist, wie die Ressourcen im System verteilt werden. Letztlich spielt auch eine Rolle, wie umfangreich zentrale staatliche Vorgaben sind: Ist es z.B. hilfreich, wenn Schulen eine große Autonomie haben und Lerninhalte selber festlegen oder die Lehrkräfte aussuchen und bezahlen können? Oder ist es besser, wenn es zentrale Vorgaben gibt. Das wollen wir erforschen.
Wie wichtig ist die Qualität der Ausbildung der Lehrkräfte?
Sie ist ein ganz zentraler Baustein. Wir wissen, dass Lehrkräfte, die eigentlich sehr gut ausgebildet sind, sich mitunter nicht gut auf den Umgang mit Klassen vorbereitet fühlen, in denen ein hoher Anteil nicht Deutsch als Muttersprache hat. Das ist keine gute Ausgangslage, zumal es in städtischen Regionen Schulen gibt, in denen diese Gruppe die Mehrheit bildet. In unserem Projekt möchten wir zum Beispiel untersuchen, ob spezielle Fortbildungen für die Lehrkräfte dazu beitragen können, Bildungsungleichheiten zwischen Schülern und Schülerinnen mit und ohne Migrationshintergrund zu reduzieren.
Werden sie auch weiche Faktoren untersuchen wie etwa die Einstellung zur Leistungsbereitschaft?
Im Projekt werden wir eher untersuchen, wie sich Merkmale des Schulklimas, also etwa die Qualität der Schüler-Lehrer-Beziehungen auswirken, und wie diese möglicherweise auch Effekte des gesamten Bildungssystems ausgleichen oder verstärken können.
Macht es einen Unterschied, ob Migranten in einem wirtschaftlich prosperierenden Gebiet leben oder in einem, das vom ökonomischen Abstieg gekennzeichnet ist?
Durchaus. Die wirtschaftlichen Umstände einer Region wirken sich auf unterschiedliche Weisen auf den Schulerfolg aus. Einerseits stehen in wirtschaftlich gut gestellten Regionen mehr Gelder für die Schulen zur Verfügung. Und tendenziell investieren Länder, denen es wirtschaftlich besser geht, auch mehr in ihr Bildungssystem. Davon können natürlich auch Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund profitieren.
Auf der anderen Seite beeinflusst die wirtschaftliche Lage der Region natürlich auch die Situation einzelner Familien. Oftmals treffen wirtschaftliche Krisen besonders stark Kinder mit Migrationshintergrund, da ihre Eltern häufiger in prekären Beschäftigungsverhältnissen stehen, eine höhere Jobunsicherheit haben und einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt sind. All das kann, auch vermittelt über geringe berufliche Erwartungen, dazu führen, dass sich migrationsspezifische Bildungsungleichheit in Regionen, die von ökonomischen Abstieg gekennzeichnet sind, verstärkt. Warum sollte ich in der Schule lernen, wenn ich davon ausgehe, dass ich auf dem Arbeitsmarkt ohnehin keine Chance habe?
Welche Auswirkungen hat der Kindergarten auf die Bildung?
Kindergärten werden zwar nicht im Fokus unserer Untersuchungen liegen, jedoch schauen wir uns sehr wohl die Entstehung von Ungleichheiten im Grundschulbereich an. Bildungsungleichheiten entstehen oft früh im Bildungssystem. Ein gutes Beispiel dafür ist die Beherrschung der Unterrichtssprache. Wenn sie die Unterrichtssprache nicht beherrschen, ist es schwer, in der Schule etwas zu lernen. Bisherige Studien deuten darauf hin, dass die Kompensation sprachlicher Defizite besonders gut am Anfang des Bildungsweges gelingt und somit auch den späteren Schulerfolg von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund positiv beeinflussen kann. Denn umso früher sie mit einer Sprache in Berührung kommen, umso einfacher lernen Sie sie.
Werden Sie auch verschiedene Migrantengruppen untersuchen? Einigen Kulturen wird ja nachgesagt, dass dort die Bildung einen höheren Stellenwert hat.
Ja. Es gibt eine ganze Reihe von Untersuchungen, vor allem aus den USA, die sich damit beschäftigen. So wird asiatisch-stämmigen Personen nachgesagt, dass sie Bildung einen sehr hohen Stellenwert beimessen und dass das zu ihrem überdurchschnittlich guten Abschneiden in der Schule beiträgt. Im Forschungsprojekt werden auch wir verschiedene Herkunftsgruppen unterscheiden. Für uns ist dabei insbesondere die Frage interessant, ob dieselbe Herkunftsgruppe in verschiedenen Ländern unterschiedlich abschneidet. Gibt es Länder, in denen eine Herkunftsgruppe schlechter als die Schüler und Schülerinnen ohne Migrationshintergrund ist? Gibt es Länder, in denen dieselbe Gruppe besser als ihre Altersgenossen ohne Migrationshintergrund abschneidet? Und wie unterscheiden sich diese Länder? Die Beantwortung dieser Fragen kann uns helfen zu verstehen, warum Bildungsungleichheiten entstehen.
Soll die Studie auch Handlungsanleitungen für die einzelnen Länder geben?
Handeln kann nur die Politik. Als empirisch arbeitende Forscherinnen und Forscher glauben wir aber, dass es zu unseren Aufgaben gehört, gesellschaftliche Zusammenhänge so gut es eben möglich ist zu beleuchten. Wie politische Akteure dieses Wissen dann umsetzen, ist eine andere Frage und wird über öffentliche Debatten und Wahlen vermittelt. Aber Bildungssysteme sind nicht in Stein gemeißelt und können durch politische Entscheidungen verändert werden. Es ist daher wichtig zu verstehen wie Bildungssysteme mit Migrationshintergrund in Verbindung stehen und so zu ungleichen Schulleistungen zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund führen.