Wissen/Wissenschaft

Küken, die lange im Nest hocken, werden intelligenter

Dass es unter den Vögeln Überflieger gibt, ist bekannt. So stehen Krähen, Kakadus und Raben Primaten in ihrer Intelligenz kaum nach. Das schlaue Federvieh besitzt ein größeres Gehirn und in bestimmten Hirnarealen mehr Neuronen als dümmere Artgenossen. Wie eine aktuelle Studie zeigt, ist diese Entwicklung vor allem bei Nesthockern möglich - wenn das Gehirn nach dem Schlupf noch viel Zeit hat, zu wachsen und heranzureifen.

Vögel besitzen anders als Säugetiere keine Großhirnrinde. Dafür nützen sie zum Lösen komplexer mentaler Aufgaben das Pallium, eine Region im Vorderkopf. Um den Geheiminissen des Denkvermögens von gefiderten Tieren weiter auf die Spur zu kommen, schauten sich Daniel Sol vom Zentrum für ökologische Forschung in Katalonien und sein internationales Team die Gehirn von 111 Vogelarten aus 24 Familien näher an.

Neuronen machen schlau

Es zeigte sich: Die Vogelarten, die als besonders intelligent und innovativ gelten, haben im Schnitt eine höhere Zahl von Hirnzellen. Dieser Zusammenhang blieb auch dann bestehen, als die Forschenden die Körpergröße und -masse mit einbezogen. „Die Innovationsfreudigkeit ist bei den Vögeln höher, deren Gehirn im Verhältnis zu ihrer Körpergröße überproportional viele Neuronen aufweist“, berichten Sol und seine Kollegen. Gänse oder Eulen haben zwar ein relativ großvolumiges Gehirn, aber deutlich weniger Hirnzellen als gleichgroße Papageien oder Krähenvögel.

Ungleichmäßige Verteilung grauer Zellen

Nähere Analysen ergaben, dass die zusätzlichen Neuronen nicht gleichmäßig im Gehirn verteilt sind. Als entscheidend für die Intelligenz einer Vogelart erweisen sich vor allem die Zellzahlen im Pallium – dem evolutionär jüngsten und hochentwickeltsten Hirnteil der Vögel. „Unsere Ergebnisse bestätigen damit die Hypothese, dass Intelligenz die Fähigkeit widerspiegelt, möglichst viele Neuronen einer Aufgabe zu widmen“, erklärt das Team.

Nestflüchter sind nicht so klug

Darüber hinaus untersuchten Sol und seine Kollegen, ob sich die Entwicklungsphasen bei intelligenteren und weniger intelligenten Vogelarten unterscheiden. Und tatsächlich zeigten sich auffallende Differenzen: Vogelarten mit weniger neuronenreichen Gehirnen sind meist Nestflüchter – ihre Küken schlüpfen fast fertig entwickelt aus dem Ei und können sofort laufen, schwimmen und fressen. Beispiele dafür sind Hühner, Enten oder Gänse. Ihr Gehirn und vor allem ihr Pallium bildet sich noch im Ei aus – wächst aber nach dem Schlupf kaum mehr weiter, wie die Forschenden in vergleichenden Analysen ermittelten.

Unfertige Küken bilden mehr Neuronen aus

Anders ist dies hingegen bei den Küken von Krähen, Papageien und andere „klugen“ Vögeln: Sie sind meist Nesthocker, die nackt und blind schlüpfen und nur langsam heranreifen. Analysen ergaben, dass das Gehirn dieser Küken während dieser Nestlingszeit überproportional viele neue Neuronen bildet – deutlich mehr als bei Nestflüchtern. „Die Zeit, in der die Küken im Nest heranwachsen, könnte demnach eine entscheidende Rolle für die Entwicklung ihrer Intelligenz spielen“, sagt Koautor Louis Lefebvre von der McGill University in Kanada.

Lange Kindheit förderlich für Hirnwachstum

Diese Ergebnisse bestätigen, dass auch bei Vögeln das Hirnvolumen allein nur wenig über die kognitiven Leistungen aussagt. Stattdessen spielt die Größe und Zelldichte vor allem der höheren Hirnregionen eine wichtige Rolle. Und ähnlich wie bei uns Primaten, scheint eine relativ lange Kindheit auch bei den Vögeln förderlich für Hirnwachstum und Intelligenz zu sein.